© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Bis zu 24 Stunden und für alle Nischen
Zwischen den Fernsehkanälen und Streamingdiensten ist der Markt mit Online-TV-Sendern in Bewegung
Christian Schreiber

Die Redaktionsräume liegen unweit des berüchtigten Schanzenviertels in Hamburg. Doch mit der sich dort tummelnden linksmilitanten Szene wollen die Macher von Rocket Beans nichts zu tun haben. Sie geben sich unpolitisch. Die Rocket Beans oder „Bohnen“, wie sie von ihren Fans genannt werden, geben sich als Pioniere eines neuen Marktes. Als Youtube-Kanal für Videospiele gestartet, bieten sie mittlerweile auf ihrer Internetseite ein richtiges TV-Programm an. Sie füllen ein 24stündiges Programm zu einem Großteil mit Eigenproduktionen zu den Themen Musik, Gesellschaft, Freizeit und auch Sport. 

„Wir haben unseren Sender in Rekordgeschwindigkeit auf die Beine gestellt, ohne vorher irgendwelche Marktanalysen zu betreiben. Wir haben einfach gemacht, worauf wir Bock haben, und gehofft, daß möglichst viele Leute da auch Bock drauf haben“, erklärt Moderator und Mitgründer Etienne Gardé gegenüber der Zeitschrift TV Spielfilm und fügt hinzu: „Wir sehen uns als Nerd­-Plattform und wollen unterschiedliche Interessen bedienen. Natürlich wollen auch wir Geld verdienen, zumindest eine Sicherheit haben, daß es weitergeht. Aber es ist nicht so, daß wir deshalb nur noch auf die Zuschauerzahlen achten müssen.“

Die Wurzeln der Redaktion liegen im so genannten Gaming. Nachdem MTV ihre Computerspiele-Sendung „Game One“ abgesetzt hatte, gründeten sie im Januar 2015 ihren eigenen Internetsender. Gardé beschreibt diesen Schritt als „Flucht nach vorn“, auch weil es eine stabile Fan-Gemeinde gegeben habe, die sich finanziell an dem neuen Projekt beteiligte. 

Die großen Sender schlucken oft die kleinen

Langfristig sollen neue Publikumsgruppen erschlossen werden, denn rund 200.000 Zuschauer täglich sind langfristig zu wenig. Dennoch kooperiert der Privatsender RTL2 mittlerweile mit den Hamburgern. Der Markt der Online-Sender ist in Bewegung gekommen, nachdem er rechtlich gesehen lange als Grauzone galt. Im Jahr 2017 teilten die Landesmedienanstalten mit, auch Live-Streams über das Internet könnten als Rundfunk oder rundfunkähnlich eingestuft werden und brauchten dann eine medienrechtliche Zulassung. Dies treffe zu, wenn es sich um professionelle, redaktionell aufbereitete Live-Streams handele. 

Die Vorteile gegenüber klassischen Empfangswegen des linearen TV-Programms sind vielfältig. Viele Unternehmen bieten neben kostenpflichtigen Abonnements bereits Gratis-Pakete mit vielen Sendern. Dabei muß man unterscheiden: Bezahl-Angebote wie Zattoo oder waipu.tv sind Sammelangebote, die die etablierten Kanäle über Internet anbieten. Dazu gibt es ein Sammelsurium an zum Teil sehr kleinen Online-TV-Sendern, die Rocket Beans sehr ähnlich sind. Oft handelt es sich um privatrechtliche Initiativen, die den Sprung auf den bundesweiten Medienmarkt nicht lange überleben. 

Als Pionier im Bereich der Musiksparte gilt die ehemalige App Putpat. Da lineare Musiksender entweder im PayTV in der Bedeutungslosigkeit verschwanden oder ihr Programm wie Viva nur halbtags ausstrahlten, bediente Putpat TV eine Marktlücke. Man war so erfolgreich, daß ProSiebenSat.1 das Kölner Unternehmen im Jahr 2015 übernahm und mit seiner eher mäßig erfolgreichen Marke Ampya zusammenführte. Mittlerweile ist auch dieses Projekt wieder Geschichte. Hintergrund ist ein jahrelanger Streit zwischen Internetanbietern und der Behörde Gema, die die Rechte und Gebühren für die Künstler verwaltet. Wer ein Webradio oder ein Internet-TV-Kanal betreibt, benötigt eine entsprechende Lizenz. Mittlerweile haben sich die großen Medienkonzerne und Internetriesen wie Youtube mit der Gema geeinigt, und vor allem der Musikmarkt im Internet wird von den Online-Angeboten der großen TV-Sender abgedeckt. 

Eine Ausnahme ist das Deutsche Musik-Fernsehen, das sich der deutschsprachigen Musik verschrieben hat. Gesendet werden in erster Linie Musikvideos und Musiksendungen des Schlager-Genres. Das Programm ist 24 Stunden am Tag kostenlos zu empfangen. Der Sender finanziert sich durch Werbung und Teleshopping. Ansonsten bedient der Online-TV-Markt viele Nischen. So gibt es unzählige Reiseprogramme, natürlich mehrere TV-Shops, einen Sender, der sich mit Schach beschäftigt und viele regionale Angebote, bei denen allerdings die Grenzen zwischen Berichterstattung und Werbung verschwimmen. Allein in Bayern gibt es derzeit rund zwei Dutzend lokaler Internet-Sender, die sich durch Werbung regionaler Unternehmen finanzieren.

 www.rocketbeans.tv