© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Dorn im Auge
Christian Dorn

Am Tag der Deutschen Einheit hängt vom Balkon im ersten Stock, nahe dem linken Hausprojekt „Ausland“, eine frisch gebügelte DDR-Fahne. Ist dies noch die Nach- oder schon die Vorhut? Seien wir auf der Hut! Im Roten Salon der Volksbühne präsentiert Willi Jasper seine Erinnerungen an 1968 („Der gläserne Sarg.“ Matthes & Seitz, 2018). Für ihn ist „die gesamte Linke gescheitert“. Entsprechend beargwöhnt er die von vielen Unterschriften begleitete Bewegung von Sahra Wagenknecht: „Bewegt die sich denn überhaupt?“ Die SPD heute sei nicht zu vergleichen mit der Labour und bald nur noch „einstellig“ (mein Ohr vernimmt „einstimmig“). Auch sei die angebliche „Kulturrevolution“ eine bloße „Theaterrevolution“ gewesen: „Die Schaubühne war ja in unserer Hand.“


„Fuck you Bora Dagtekin“ – die so witzige wie einfühlsame, intelligente wie emotionale Teenager-Komödie „Das schönste Mädchen der Welt“ des Regisseurs Lars Kraume beweist abermals dessen unbestechliches Gespür, das dem oberflächlichen „Fack ju Göthe“-Gelaber ein echtes Armutszeugnis ausstellt. Letzteres vermochten auch die legendären Aufnahmen des Fotografen Harald Hauswald, aktuell präsentiert in einer Verkaufsausstellung im Eckcafé an der Gethsemanekirche (bis Januar 2019). Obwohl die Fotos nicht „feindlich“ gewesen seien (etwa das verblichene Ladenschild, das „Reparaturen sämtl. Systeme“ anpreist), hätten diese „den DDR-Staat ins Mark getroffen“, so Roland Jahn zur Eröffnung. Dies bezeugt auch der neue Bildband „Voll der Osten. Leben in der DDR“ mit Texten von Stefan Wolle (Jaron Verlag, 2018). Stephan Krawczyk, der seine neue „Audiographie“ („Wenn die Wasser Balken hätten“) vorstellt, berührt das Publikum durch seine Lieder, aber auch durch Passagen aus seinem äußerst empfehlenswerten Roman „Mensch Nazi“ (edition chrismon), der jetzt – im Zuge der Renaissance des „Nazi“-Begriffs – das Buch der Stunde sei, weshalb er es in Schulen vorstelle, wo besonders die Schüler an einer differenzierten Sicht interessiert seien, während die Lehrerinnen ihn (ob des Buchtitels) tatsächlich oft fragten, was denn das eine mit dem anderen zu tun habe.


Am 7. Oktober, einst Republikgeburtstag der DDR, sitzt vor dem Café der Sowjetzone, wo gerade auf dem Tresen die leuchtend roten, an zahllose Rote Fahnen erinnernden Servietten gefaltet und aufgeschichtet werden, Ilja Richter, der mich unvermittelt grüßt, als er meine neueste Erwerbung lobt: „Ein schöner Hut!“ Frohgemut schreit’ ich voran und denk bei mir: Licht aus, Spot an!