© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Pankraz,
D. Kehlmann und das Schicksal des Buches

Nicht auf  Facebook sein ist kein Abschied von der Zivilisation.“ So also sprach der Schriftsteller Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“, „Tyll“) in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse. Er wollte den Büchermachern offenbar Mut machen, denn deren Zahlen sind deprimierend. Der Verkauf von Büchern geht demnach rapide zurück, satte 44 Prozent in den letzten zehn Jahren. Und schuld daran, wird glaubhaft versichert, seien die „sozialen Medien“ im Internet, nicht zuletzt Facebook. 

Auf Facebook eingetragen zu sein verschafft heute tatsächlich mehr intellektuelles Renommee, als zu Hause eine stattliche Bibliothek mit edlen Beständen zu hegen – das ist auch die Beobachtung von Pankraz. Selbst in den schönen Lesesälen großer, berühmter Bibliotheken sitzen mehr Gäste, die, statt in den ausgeliehenen Büchern zu lesen, eifrig auf mitgebrachten Smartphones herumschieben, um an irgendwelche Informationen zu kommen oder sich bei irgendwelchen „social medias“ wichtig zu machen. Das Internet mit seinen Netzwerken hat das Buch über weite Strecken regelrecht ersetzt.

Alles hat eben zwei Seiten, eine gute und eine schlechte  „Das Netz“, sagt Kehlman, „also die Verbindung von Rechnern und Servern, ist erst mal ein großer Fortschritt: Wissen ist fast beliebig abrufbar, Kommunikation war noch nie so einfach (…) Jene neuen Medien aber, die das Netz zunehmend algorithmengesteuert strukturieren, bestimmen unsere Wahrnehmung, bestimmen unseren Lebensrhythmus und geben uns dafür – eigentlich nichts. Wir alle kennen Leute, die manisch auf den kleinen Bildschirm starren, teilen, liken, kommunizieren. Sie haben eigentlich nichts getan und sind am Ende des Tages doch erschöpft.“


Erschöpfung durch Nichtstun – darauf laufen die Herumschiebereien auf Facebook & Co. hinaus. Und schlimmer als das. „Machen die sozialen Netzwerke den Menschen zum Kind – oder zum Tier?“ wird Kehlmann in dem Interview gefragt. Antwort: „Eher zur Laborratte. Der Facebook-Mensch funktioniert nach einem Reiz-Reaktion-Schema, wie Pawlows Hund (…) Er spielt das Spiel mit, weil er, evolutionsbiologisch gesehen, anfällig ist für solche experimentellen Arrangements.“ 

Wie steht es nun aber mit den Bücherschreibern selbst? Setzen sie sich tapfer zur Wehr? Sehen sie sich gar als Retter der Menschheit, welche via Facebook & Co. zu einer bloßen Ansammlung von Laborratten für Big-Data-Firmen umgebaut werden soll? Ein Blick in die Statistiken offenbart jedenfalls, daß die Erträge des Buchhandels zwar zurückgehen, die Leserzahl und die Lesezeit insgesamt schrumpfen, andererseits aber noch nie so viele Bücher gedruckt und angeboten wurden wie heute. Ist das nun ein Zeichen des Widerstands, den die Autoren oder der Buchhandel ingesamt stolz markieren?

Kehlmann seinerseits bezeichnet sich in dem Interview mit der NZZ als einen „unverbesserlichen“ Bücherfreund. „Aber die Branche ist unter Druck“, räumt er einigermaßen bekümmert ein. „Vielleicht kommt auch alles anders, und wir brüten hier Gedanken aus, die an der realen Entwicklung vorbeigehen. Nur einer Sache bin ich mir wirklich sicher: Was auch immer geschieht, Literatur und Autor werden nicht verschwinden.“ 

Pankraz ist mit solcher ratlosen Bekümmernis nicht einverstanden, besonders wenn sie von so ausgezeichneten, das eigene Genre stets sorgfältig bedenkenden Autoren wie Kehlmann vorgezeigt wird. Sicher, die Hoffnung stirbt zuletzt, doch man kann durchaus etwas tun, um den Tod so lange wie möglich hinauszuzögern; bloße Überzeugtheit, wie Kehlmann sie demonstriert, genügt freilich nicht. Man sollte als Star-Autor wenigstens öffentlich ein bißchen darüber nachdenken, ob es nicht auch im Lager der Literaturproduzenten Verhaltensweisen gibt, die die allgemeine Erschöpfung durch Nichtstun und Laborrattentum befördern.


Vielleicht stößt man dann zum Beispiel darauf, daß gerade gewisse, rapide um sich greifende Formen der Vielschreiberei dazu beitragen, die Literatur zu veröden und potentielle Kunden vom Bücherkauf abzuschrecken. Man betrachte etwa die aktuelle Romanproduktion! Früher galt ein Erzählprodukt als „Roman“, das die Vita einer Person oder Personengruppe als erhellendes Abbild einer ganzen Zeitepoche in Worte zu fassen verstand, nicht in Versen, aber auch nicht durch neuartige Stilexperimente, nicht im Umfang von Novellen oder sonstigen Kurzgeschichten, doch auch nicht im Riesenumfang à la Karl Ove Knausgård.

Heute nun wird vom Buchhandel – zweifellos auf Betreiben ehrgeiziger, durch die Leichtigkeit von „Kommunikation“ im Internet verführter Auch-Autoren – jegliche Art von Erzählerei als „Roman“ verkauft, Nullitäten von kaum mehr als hundert Seiten, Riesenwälzer voller Nullitäten von mehr als tausend Seiten, versehen mit lächerlichen „Pointen“, von den angestellten Kritikern in den großen Zeitungen achselzuckend mit Lob versehen („noch zwei bis drei plus“), sofern der anbietende Verlag hinreichend mächtig und einflußreich ist.

Dieser ganze Betrieb, der „moderne Literaturbetrieb“, macht auf empfindliche Gemüter einen deprimierenden Eindruck, und die dürsten nach Veränderung, nach Reform. Wenigstens sollen Leute wie Daniel Kehlmann, auf die doch noch gehört wird, sich darüber lustig machen. Aber er meint nur resignierend: „Verloren geht der Sinn für Mehrdeutigkeit, eine gewisse Subtilität der Begriffe, eines zwar nie vollkommenen, aber in sich geschlossenen Werks. Auch eine Schule der Empathie, die Romane nun mal sind.“ 

Aber genau das ist es doch, was die Literaur heute sein müßte: eine Schule der Empathie! Subtilitäten aufspüren, sowohl der Begriffe als auch der Gefühle. Im Trubel von Buchmessen ist das natürlich nicht möglich, auch nicht bei den vielen Podiumsgesprächen, die es dort gibt. Aber in den Herzen skrupulöser Dichter sollte die Empathie auch nicht versauern.