© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Qualität raus, Quantität rein
Einwanderung: Große Koalition forciert „Spurwechsel“ / Es droht eine Aushebelung des Asylverfahrens
Paul Rosen

Anruf bei mehreren Marken-Autowerkstätten in Berlin mit Bitte um einen Termin: Unter vier Wochen Wartezeit geht da gar nichts mehr. Der Grund heißt Fachkräftemangel, und den will die Große Koalition jetzt mit einem Zuwanderungsgesetz lindern. Und nebenbei soll auch abgelehnten, aber gut integrierten Asylbewerbern der Weg in den Arbeitsmarkt geebnet werden. Auch wenn die Unionsparteien das bestreiten, ist das genau der „Spurwechsel“ in der Asylpolitik, den Abschiebekandidaten nutzen können, um nicht so bald das Flugzeug Richtung Heimat besteigen zu müssen. 

Natürlich hat Deutschland ein Fachkräfte- und Hochqualifiziertenproblem. Die drei wirklichen  Ursachen werden aber von der Politik ausgeblendet: Ansehensverlust handwerklich-technischer-Berufe, mangelnde Anreize für Arbeitsaufnahme von Bürgern aus Nachbarländern (gemeint sind nicht die Schwarzarbeiter aus Osteuropa) und die Abwanderung von Fachkräften, insbesondere von Ärzten. 

Völlig ausgeblendet    wird die Auswanderung

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) berichtet von 150.000 offenen Stellen in diesem vielseitigsten deutschen Wirtschaftszweig – vom Kfz-Mechaniker bis zum Maurer. Neben dem Geburtenrückgang sieht der ZDH einen weiteren wichtigen Grund: Immer mehr junge Leute streben zum Abitur und danach auf eine Hochschule. Der ZDH fordert einen Bewußtseinswandel: „Einer beruflichen Ausbildung muß wieder die Wertschätzung unserer Gesellschaft entgegengebracht werden, die ihr gebührt.“ 

Das Thema wurde von CDU, CSU und SPD in ihren Verhandlungen jedoch komplett ausgespart. Vereinbart wurde hingegen, daß in Zukunft nicht nur Hochqualifizierte (zum Beispiel Ärzte), sondern generell Fachkräfte aus Ländern außerhalb der Europäischen Union in Deutschland in ihrem Beruf arbeiten können. Sie dürfen zur Arbeitssuche für ein halbes Jahr einreisen, müssen aber für ihren Unterhalt selbst aufkommen. Diese Fachkräfte werden einen großen Bogen um Deutschland machen. Der Grund ist einfach: Unsere Nachbarländer, die gleiche Probleme haben, locken mit hohen Steuervergünstigungen Arbeitskräfte an. In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Parlamentsanfrage werden 15 EU-Länder aufgezählt, die Steuervergünstigungen für ausländische Fachkräfte in unterschiedlichen Varianten anbieten.  Beispielhaft genannt seien die Niederlande: Dort können hochqualifizierte ausländische Arbeitnehmer 30 Prozent des Arbeitseinkommens steuerfrei erhalten. Im Vergleich dazu ist und bleibt das Hochsteuerland Deutschland unattraktiv. In der öffentlichen und politischen Debatte ging es aber ohnehin nicht um die Lösung des Fachkräfteproblems, sondern um den „Spurwechsel“ als neues Ventil, abgelehnten Asylbewerbern ein Daueraufenthaltsrecht zu ermöglichen. Die Koalitionspartner schrieben in ihre Vereinbarung zwar auf Druck der im Wahlkampf stehenden Unionsverbände: „Am Grundsatz der Trennung von Asyl und Erwerbsmigration halten wir fest.“ Man werde aber im Aufenthaltsrecht klare Kriterien für einen verläßlichen Status Geduldeter definieren, die durch ihre Erwerbstätigkeit ihren Lebensunterhalt sichern und gut integriert sind. Wortgewaltig erklärte der neue CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus, es dürften „keine Menschen ins Land gelassen werden, die uns nicht nachhaltig weiterhelfen.“ Vorsichtiger drückte sich schon Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zum „Spurwechsel“ aus: „Ich streite nicht um Begriffe, ich setze auf lebenspraktische Lösungen: Geduldete, die gut in den Arbeitsmarkt integriert sind und die deutsche Sprache können, erhalten einen sicheren Status.“ Was das konkret bedeutet, übersetzte der Ökonom Thomas Straubhaar: „Wer als Asylsuchender nicht auf der Normalspur in Deutschland ankommt, kann nämlich immer noch auf den Pannenstreifen ausweichen und kriegt so eine zweite Chance.“ Die Gesetzesänderung komme einer Einladung an Asylsuchende gleich: „Damit droht das Asylverfahren ausgehebelt und ein grundsätzliches Erwerbs- und Bleiberecht geschaffen zu werden.“ Für den AfD-Fraktionschef Alexander Gauland ist klar, daß der „Spurwechsel“ jetzt beschlossene Sache ist – ohne ihn so zu nennen. 

Völlig ausgeblendet wurde der dritte Grund für den Fachkräftemangel: die Auswanderung. An den Zahlen auswandernder Ärzte ist zu beobachten, wie Fachkräfte das Land verlassen und häufig durch geringer qualifizierte Zuwanderer ersetzt werden. Pro Jahr verlassen nach Statistiken der Bundesärztekammer (BÄK) rund 2.000 Ärzte Deutschland. Die meisten gehen in die Schweiz, nach Österreich und in die USA. Da die Ausbildung eines Arztes nach Regierungsangaben 193.000 Euro kostet, wurden so in den letzten zehn Jahren knapp vier Milliarden Euro Steuergeld ausgegeben, um die medizinische Versorgung und Forschung im Ausland zu verbessern. Umgekehrt kamen im letzten Jahr zwar 4.000 ausländische Ärzte nach Deutschland, aber deren Qualität beschreibt BÄK-Präsident Frank Montgomery sehr deutlich, indem er fordert, Zuwanderer müßten ihre Kenntnisse und Fähigkeiten durch Teilnahme am medizinischen Staatsexamen unter Beweis stellen. 

Qualität raus, Quantität rein nach Deutschland – das beschreibt das hiesige Migrationsdilemma, an dem auch der „Spurwechsel“ nichts ändern wird.