© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Angst vor dem Diskurs
„Miteinander reden“, heißt es allenthalben. Dem steht jedoch linke Hypermoral entgegen
Matthias Matussek

Ein „Tagesschau“-Beitrag jüngst hieß „Deutschland spricht“, als Auftakt zu der Aktion „Miteinander reden – Spaltung überwinden“. Keine verlief ergebnisloser als diese, obwohl die Spaltung der Gesellschaft und ihre Überwindung in jeder zweiten Fensterrede der Politik, vom Bundespräsidenten abwärts, zum Standardrepertoire gehört – selbst Markus Söder will plötzlich lieber „Brücken bauen“ als spalten, wo man doch gerade von bayrischen Ministerpräsidenten gewohnt ist, daß sie auf den Putz hauen und klare Verhältnisse schaffen. Wir wollen mindestens, daß sie authentisch bleiben und ehrlich, unsere Politiker, denn das Problem ist viel eher die Glaubwürdigkeit. Daß Söder in diesem Bereich eher Pech hat, belegen seine katastrophalen Umfragewerte vor der Wahl.

Seit der einstige Bundespräsident Joachim Gauck auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise das Land in ein „helles“ und ein „dunkles“ Deutschland aufteilte, also streng manichäisch in ein Reich des Lichts und eines der Finsternis, ist die Spaltung geradezu theologisch festgemauert, und wenn sich das Land der Reformation auf eines versteht, dann sind es theologische Grenzschutzanlagen, die bis in die Letzten Dinge reichen, also Ewigkeitsbehauptungen in sich tragen. Wir sind da sehr rigide.

Nur so läßt sich erklären, daß geradezu ritualhaft die Abgrenzung zur immerhin drittstärksten Kraft im Lande, der AfD, im Parlament, ach was: in jeder TV-Diskussion zwanghaft gesucht wird, ja daß Koalitionen selbst in vernunftgesteuerten Sachfragen von vornherein ausgeschlossen werden, ohne überhaupt angefragt zu haben, ob diese immerhin demokratisch gewählte Partei ins Boot zu bringen wäre.

Es gibt also einen doppelten Ton in diesem Lande: die einen sind Demokraten, die anderen Populisten. Was nur ein anderes Wort für Parias, also Unberührbare, wäre.

Mich erinnert das an eine Trekking-Tour vor Jahren im Norden Thailands. Unser Hippie-Führer, ein Meo, saß mit uns am Lagerfeuer, irgendwo im Gebiet seines Gebirgsstammes, und er schwärmte: „Alle Menschen sind doch letztlich Brüder ... außer den Burmesen! Wenn ich einen von denen treffe, würde ich ihn sofort töten.“

Was uns direkt auf den Kampfplatz der Intellektuellen und Schriftsteller und Diskursführer bringt, die Frankfurter Buchmesse. Die Messe-verantwortlichen haben auf diesem Schauplatz des freien Wortes und des gedankenreichen Austausches von Argumenten tatsächlich Quarantäne-Stationen eingerichtet. Sie haben die sogenannten „Rechtsverlage“ in die Sackgasse ans schmale Ende einer Halle verbannt, also buchstäblich aus dem Verkehr gezogen. Sie sind zwar vorhanden, aber gleichzeitig auch nicht, was eine schöne Metapher ist für die Ernsthaftigkeit der demokratischen Aktion „Spaltung überwinden – miteinander reden“. So nach dem Motto: Wir wollen es aber nicht übertreiben.

Als Grund für diese Isolationshaft wurde genannt (neben der unausgesprochenen Angst vor Ansteckungsgefahr), daß diese Verlage bereits im vergangenen Jahr durch ihre Anwesenheit „provoziert“ hätten. Nun weiß jeder, der sich 2017 für die JUNGE FREIHEIT oder die Bücher des Antaios-Verlags oder die Ausgaben von Tumult interessiert hat, daß diese Stände von linkslärmenden „Antifaschisten“ mit Trillerpfeifen und Transparenten besucht und im Falle Antaios und Tumult nachts geplündert und beschmiert wurden. Die Messeleitung selbst hatte einen Demonstrationszug dorthin angeführt, um ihr wahrhaftes, pardon: wehrhaftes Demokratieverständnis unter Beweis zu stellen.

Wieviel Angst vor einem „herrschaftsfreien Diskurs“, um endlich Habermas einzuspielen, muß da grassieren? Könnte es sein, daß Rolf Peter Sieferles „Finis Germania“, dieser nach einer manipulierenden Bestsellerlisten-Zensur des Spiegel zum Verkaufshit geratene Aufschrei doch mehr aufgeweckte Zeitgenossen interessiert als die Hervorbringungen der braven staatstragenden Preisbullen des Betriebs? Und da wir von rechter Intelligenz reden: Könnte es nicht sein, daß Arnold Gehlens irritierend aktueller Essay „Moral und Hypermoral“ von 1969 doch interessanter ist als die mittlerweile abgestandenen und zunehmend unverstandenen marxistischen Topoi der Frankfurter Schule? Adorno muß kurz vor seinem Tod, im Brausen einer lärmenden gesellschaftlichen Revolte, ein Gespür dafür gehabt haben, als er Gehlen, dem konservativen anthropologischen Philosophen, eine Schrift mit den Worten zusandte: „In kontrapunktischer Freundschaft verbunden“?

Adorno hatte mit Gehlen noch produktiv und oft und auf höchstem Niveau gestritten. Es zeigt den Verfall der linken Intelligenz, daß so etwas nicht mehr möglich ist.

Deshalb zu guter Letzt eine Dialogforderung: Als ich das Exposé zu meinem Buch „White Rabbit oder Der Abschied vom gesunden Menschenverstand“ dem alten Buddy und Verleger des KiWi-Verlages Helge Malchow zusandte, erhielt ich folgende Zeilen: „Lieber Matthias, danke für die Einleitung, aus der ja klar wird, was da für ein Buch entsteht. Wie immer bin ich beeindruckt von Deinem Ton, von Deiner Schreibkunst.“ Und nach längeren Ausführungen darüber, daß er (wie ich!) keine Ausländerwohnheime abfackeln möchte, dieses: „Kurz: Ich freue mich, wenn Dein Buch woanders erscheint, und dann machen wir eine öffentliche Diskussion ... Dein Helge“.

Seitdem telefoniere ich ihm ergebnislos hinterher. Aber da diese Messe wie alle anderen die Möglichkeit zu spontanen Begegnungen und Diskussionen bietet – Debattenkultur stärken, Brücken bauen! – könnte es doch sein, daß es diesmal nicht im rechten Ghetto laut wird, sondern plötzlich mittendrin, am Stand des Kiepenheuer & Witsch-Verlages.