© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/18 / 28. September 2018

Haltungsnote
Riesiger Wissensverlust
Gil Barkei

Für Geschichtsforscher stellen alte Unterlagen einen unschätzbaren Wert dar, weshalb Archive sie eigentlich behutsam hüten sollten. Eigentlich, denn der Leiter des Hamburger Staatsarchivs sah dies anscheinend anders. 45 laufenden Meter Akten mit mehr als einer Million Dokumenten – sämtliche Todesbescheinigungen von 1876 bis 1953 – ließ Udo Schäfer schreddern. Doch anstatt den Fehler zuzugeben, folgte eine klägliche Ausrede: Der Zustand sei schlecht und der Nutzen ohnehin begrenzt gewesen, da alle Daten auch anderswo auffindbar seien. 

Stadthistoriker sehen das ganz anders und sprechen von einem Skandal. Immerhin seien die Todesursache und der Name des den Exitus feststellenden Arztes nur aus den nun vernichteten Unterlagen ersichtlich gewesen. 

Wichtige Erkenntnisse, zum Beispiel zu den Opfern und Todesumständen während der Revolution 1918/19 oder der Choleraepidemie 1892 in der Hansestadt, seien damit nicht mehr möglich. Auch NS-Opferverbände schäumen vor Wut. Viele noch nicht aufgearbeitete Verbrechen seien so kaum oder nur sehr schwierig aufzuklären, war die Todesbescheinigung schließlich auch eine Spur zum möglichen Täter.