© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/18 / 28. September 2018

Schnaufend auf den Brocken
Wie vor 120 Jahren können Bahnreisende mit Oldtimerloks durch den Harz fahren
Paul Leonhard

Daß es ein mitteldeutsches „Bähnle“ durchaus mit den Großen dieser Welt, mit dem Venice Simplon-Orient-Express, dem australischen Indian Pacific, dem russischen Golden Eagle, dem japanischem Shiki-Shima, dem südafrikanischen Pride of Africa oder dem kanadischen Rocky Moutaineer aufnehmen kann, wenn es um die sich während der Reise bietenden überwältigenden Aussichten geht, bescheinigt das Hochglanzmagazin Architectural Digest der Brockenbahn in seiner jüngsten Ausgabe.

Was sind schon Luxuszüge, wenn die Dampflokomotive ihre Anhänger durch die märchenhafte Landschaft des Harzes zieht? Wenn weißgraue Wolken aus dem Schornstein von der harten Arbeit von Lokführer und Heizer künden. Wenn der Blick aus dem Fenster plötzlich weit über das Mittelgebirge mit seinen Tannenwäldern in das deutsche Land reicht, bevor nach anderthalb Stunden Fahrt 900 Höhenmeter überwunden sind und der Zug nach einer letzten Schleife um den Gipfel zischend und prustend in Deutschlands mit 1.125 Metern höchstgelegenem Bahnhof zum Stehen kommt. Steigungen von bis zu 33 Promille hat die mehr als hundert Jahre alte Dampflok auf den letzten Kilometern meistern müssen.

Seit 120 Jahren, seit dem 4. Oktober 1898, können des Wanderns Unlustige mit der Bahn auf den Brocken fahren. Vier Monate früher war bereits der erste Abschnitt der Brockenbahn von Drei-Annen-Hohne nach Schierke eröffnet worden. Zuvor hatten die Bahnenthusiasten harte Kämpfe mit Behörden und Bürgern zu bestehen. Am Widerstand ersterer scheiterten 1869 Pläne für den Bau einer Eisenbahn. Erst 1896 genehmigte die Verwaltung Strecken von Wernigerode und von Bad Harzberg über Torfhaus aus. Gegen letztere wehrte sich erfolgreich eine Bürgerinitiative. Längst nicht alle Bewohner des Harzes waren von der Idee begeistert, die romantische Landschaft durch ein Schotterbett und parallel verlaufende Eisenbahnschienen zu verschandeln. Ganz zu schweigen von den feuerfunken- und rußspeienden Lokomotiven. Auch galt es den Mythus zu verteidigen, nach dem in der Walpurgisnacht die Hexen auf ihren Besen zum Brocken ritten, um sich mit Teufeln und Dämonen zu vermählen.

Letztlich setzten sich die Technikbegeisterten durch. Drei Eisenbahnbetreibergesellschaften erschlossen Ende des 19. Jahrhunderts auf 1.000 Millimeter Schmalspur Stück für Stück den Harz. Nach dem ersten Teilstück von Wernigerode nach Drei-Annen-Hohne nach Schierke am 20. Juni 1898 wurde auch der steile Anstieg – ein Höhenunterschied von knapp 600 Metern auf 19 Kilometern – zum Brocken gemeistert.

Heizer werden dringend gesucht

Die folgenden Jahrzehnte waren für den Bahnbetreiber eine Erfolgsgeschichte, auch wenn die Züge nur im Sommerhalbjahr bis ganz hinauf zum Brocken fuhren. Der romantische Ausflug lockte die Deutschen an. Das blieb auch nach dem Krieg so, als die Brockenbahn, nach vier Jahren von der sowjetischen Militäradministration verordneter Streckenstillegung und der 1949 erfolgten Enteignung der Nordhausen-Wernigeroder-Eisenbahn (NWE), nun unter der Regie der Deutschen Reichsbahn dampfte. Mit dem Mauerbau war das

vorbei. Der Brocken war zum militärischen Sperrgebiet erklärt worden. Zwischen 1961 und 1990 waren es keine Lokomotiven mehr, die in Richtung Gipfel schnauften, sondern ausschließlich sowjetische Soldaten oder ostdeutsche Grenzer.

Erst die friedliche Revolution und die deutsche Wiedervereinigung boten die Chance, den Bahnbetrieb wieder aufzunehmen. Der erste Zug von Schierke zum Brocken fuhr am 15. September 1991, gezogen von der historischen Mallet-Lokomotive aus dem Jahr 1897, einen fahrplanmäßigen Reisezugverkehr gibt es seit dem 1. Juli 1992. Zum 1. Februar 1993 übernahm die von Anliegergemeinden und Landkreisen gegründete Harzer Schmalspurbahnen GmbH (HSB) die regionale Trägerschaft, was insofern erwähnenswert ist, da sie damit die erste „nichtbundeseigene Eisenbahn“ in den neuen Bundesländern mit regelmäßigem Reise- und Güterverkehr ist.

Hochsaison ist bei der Brockenbahn im Sommer, wo täglich elf Zugpaare unterwegs sind. Im Winter sind es immerhin noch bis zu sechs. Eingesetzt werden ausschließlich wuchtige Dampfloks mit einem Dienstgewicht von 61 Tonnen und einer Leistung von 700 PS. Wie lange noch, ist die schwerwiegendste Frage, die den Bahnbetreiber beschäftigt. Denn insbesondere für die schwere Arbeit des Heizers – bis zu vier Tonnen Kohle muß er pro Schicht vom Tender in den Feuerraum werfen – gibt es so gut wie keine Bewerber mehr. Auch wenn sich viele der kleinen Jungen, die sich auf dem Brocken fasziniert das Rangieren der Lok anschauen, vorstellen können, zumindest Lokführer zu werden.