© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/18 / 28. September 2018

Merkels Million auf 2022 verschoben
Ernüchternde Bilanz bei der Elektromobilität / 75.000 Arbeitsplätze in der Antriebstechnik in Gefahr
Dirk Spaniel

Die eine Million Elektroautos, die Angela Merkel vor zehn Jahren ankündigte, werden 2020 nicht über deutsche Straßen rollen. Das hat die Kanzlerin seit voriger Woche sogar schriftlich: Die Marktentwicklung zeige, daß „sich diese Zielerreichung bei einem Fortbestehen der derzeitigen Marktdynamik voraussichtlich auf das Jahr 2022 verschieben wird“, heißt es im aktuellen „Fortschrittsbericht 2018 – Markthochlaufphase“ der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE).

Zwei Jahre später als prognostiziert? Das scheint verschmerzbar angesichts der Verzögerungen beim Hauptstadtflughafen BER, dem Bahnhof Stuttgart 21 oder beim Autobahn-Flickenteppich in Hessen. Doch ein Blick in den 84seitigen Report zeigt, daß die neue NPE-Prognose auf Mogelei beruht. Denn das Elektromobilitätsgesetz (EmoG) erklärte 2015 kurzerhand auch Plug-in-Hybrid-Autos (PHEV) zu „Elektrofahrzeugen“ – sprich: Benziner oder Diesel, die theoretisch 25 bis 50 Kilometer rein elektrisch fahren können, zählen seither zu Merkels Elektroversprechen. Auch ein Batterieauto wie der BMW i3 mit Range Extender (REEV) zählt für die NPE dazu, obwohl bei leerem Akku ein Motorradmotor per Generator Strom erzeugt.

Wo befinden sich die Beschäftigungsalternativen?

So gerechnet seien bis Ende 2017 kumuliert 131.000 E-Mobile in Deutschland neu zugelassen worden, behauptet die NPE. Warum „kumuliert“? Der Bestand lag zum 1. Januar 2018 – unter Einrechnung von 11.936 Kleintransportern – nur bei 110.616. Mehr als 20.000 der hochgelobten Autos wurden wohl ins Ausland verkauft, verschrottet oder stillgelegt. Die Nachrichtenagentur dpa zählte sogar die Hybridbenziner ohne Steckdosenanschluß hinzu und kam so zu Jahresbeginn auf 290.571.

Doch die weiteren 109.481 Neuzulassungen bis Ende August waren laut Kraftfahrt-Bundesamt überwiegend (64.059) Hybrid-Toyotas wie das Taximodell Prius+ oder das SUV RAV4, die nur zwei Kilometer rein elektrisch fahren können. Nur 23.205 waren PHEV und 22.217 reine Elektrofahrzeuge oder REEV. Das entsprach einem Marktanteil von je 0,9 Prozent. Benziner (1.554.032) und Diesel (796.599) kamen im laufenden Jahr auf 62,8 bzw. 32,2 Prozent. Bundesregierung und NPE hoffen dennoch auf einen „weiteren Markthochlauf“: Bis 2030 könne sich die Anzahl der Elektrofahrzeuge auf „4,2 bis sieben Millionen bei einem Marktanteil von zehn bis 15 Prozent erhöhen“.

Welche Nebenwirkungen das haben könnte, zeigt die „ELAB 2.0“-Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO): „Bis 2030 kann jeder zweite Arbeitsplatz in der Antriebstechnik von Pkw direkt oder indirekt von der Elektromobilität betroffen sein“, heißt es dort. Mindestens 75.000 Arbeitsplätze würden in der Antriebstechnik wegfallen. Darin ist eingerechnet, daß 25.000 neue Stellen für Komponenten wie Batterien oder Leistungselektronik entstehen würden.

„Je nach Betrieb und Region können die Folgen beträchtlich sein. Zum Beispiel dann, wenn kleinere Unternehmen Umsatzeinbußen bei Komponenten für Verbrennungsmotoren nicht ausgleichen können oder wenn es in strukturschwachen Regionen kaum Beschäftigungsalternativen gibt“, warnte IAO-Institutsdirektor Oliver Riedel. Oder anders ausgedrückt: Die einseitige Propagierung der E-Mobilität befördert in den betroffenen Regionen die Deindustrialisierung. Die Autoindustrie in Deutschland zählt derzeit noch 840.000 Beschäftigte, darunter 210.000 in der Herstellung von Antriebssträngen.

Die Grünen-Fraktion will die Stellenverluste der Globalisierung zuschieben: Eine von ihr beauftragte Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages kommt zu dem Schluß, daß der Verlust von 200.000 Arbeitsplätzen in der Fahrzeugindustrie drohe, weil die europäischen Hersteller Forschung, Entwicklung und Fertigung von E-Autos vorrangig in China vorantreiben. Dort würden 21,7 Milliarden Euro investiert, in Europa seien es nur 3,2 Milliarden.

Unrealistische CO2-Werte gefährden die Autoindustrie

Doch die Autohersteller investieren dort vor allem in Fertigungsstraßen. Denn wer in diesem protektionistisch geschützten Milliarden-Markt Fahrzeuge verkaufen will, muß diese im wesentlichen vor Ort herstellen. Deswegen wurden 2017 nur 258.443 von 4,4 Millionen exportierten Autos von Deutschland nach China ausgeführt. Zwar hat Peking die Vorgaben zu den Joint-Ventures inzwischen weitgehend aufgehoben, bei vielen Firmen laufen die Verträge dennoch bis ins Jahr 2040 und ketten die Autobranche an Asien.

Daß die Konzerne BMW, Daimler und VW mehr in China investieren als hierzulande, liegt auch an den wirtschaftsfeindlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Immerhin haben die Grünen erkannt, daß sich der Sozialstaat nur finanzieren läßt, wenn genügend qualifizierte und lohnsteuerzahlende Arbeitsplätze vorhanden sind. Und sollte sich das Verhältnis zu London und Wa­shington weiter verschlechtern, drohen auch hier empfindliche Einbußen: Mit 768.896 bzw. 493.643 exportierten Autos waren Großbritannien und die USA 2017 die mit Abstand größten Auslandsmärkte der deutschen Autoindustrie.

Die E-Auto-Initiative ist auch keineswegs so ökologisch wie sie scheint: Mit einem Anteil an nichtfossilen Brennstoffen im deutschen Strommix von 40 Prozent erzeugt ein elektrischer Tesla unter dem Strich ebensoviel Kohlendioxid (CO2) wie ein moderner Diesel. Eine öffentliche Anhörung im Bundestag bestätigte indes die Kritik der AfD an den illusorischen CO2-Grenzwerten der EU. „Es gibt heute keine technischen Lösungen, wie die Emissionswerte von 95 Gramm CO2 pro Kilometer bis 2026 erreicht werden können“, erklärte Technologievorstand Peter Gutzmer vom Autozulieferer Schaeffler.

Dies entspräche einem Verbrauch von 3,6 Liter Diesel bzw. 4,1 Liter Benzin. Jeder CO2-Ausstoß über den 95 Gramm wird ab 2020 mit Strafzahlungen von 95 Euro pro Gramm belegt. Frank Iwer wurde daher noch deutlicher: In Europa seien mit dieser Gesetzgebung „Fahrzeuge oberhalb der Golf-Klasse nicht mehr realisierbar. Das ist das Ende der deutschen Autoindustrie“, so der IG Metall-Autoexperte. Sprich: Wenn Massenmodelle wie der VW Passat, der Tiguan oder die Mercedes-E-Klasse mit vierstelligen EU-CO2-Abgaben belegt werden, dann bleibt es nicht bei den vom IAO prognostizierten 75.000 Arbeitslosen. Kirsten Lühmann, verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, rechnet anders: „Für Autohersteller ist der Arbeitsplatzverlust kein Problem. Damit kann der Fachkräftemangel ausgeglichen werden.“ Und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) glaubt: „Klimaschutz und Jobs – das geht gut zusammen.“






Dr. Dirk Spaniel ist Maschinenbauingenieur und verkehrspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion.

Fortschrittsbericht 2018 – Markthochlaufphase:  nationale-plattform-elektromobilitaet.de





DUH-Dienstwagenreport der Minister

Die Alternative Plug-in-Hybrid-Autos (PHEV) statt Dieselfahrzeuge ist keine, die der Wirklichkeit stand hält: Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat als Dienstwagen einen BMW 740e iPerformance, der nach derzeitiger EU-Norm nur 113 Gramm CO2 pro Kilometer emittieren soll. In der gefahrenen Realität seien es aber 200 Gramm, rechnete die Deutsche Umwelthilfe (DUH) in ihrem „Dienstwagen-Check 2018“ genüßlich vor. Das wären ab 2020 pro Auto 9.975 Euro EU-Strafzahlung für BMW. Die Bundesminister Andreas Scheuer (CSU) und Julia Klöckner (CDU) kämen mit ihren BMW 740Le xDrive iPerformance auf einen realen CO2-Ausstoß von 224 Gramm. Das wären je 12.255 Euro CO2-Strafe. Am sparsamsten ist laut DUH die Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) unterwegs: Ihr BMW 730Ld xDrive würde nur 193 Gramm CO2 ausstoßen – und das ganz ohne teure PHEV-Technik, dafür aber mit Sechs-Zylinder-Dieselmotor. Doch das geht für die klagefreudige DUH garantiert erst recht nicht. (fis)