© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/18 / 28. September 2018

Zum Schluß ein schwacher Abgang
Anfang Oktober 1918 wurde Prinz Max von Baden letzter Kanzler des Kaiserreichs
Stefan Scheil

Eine Zeitlang war es ein geflügeltes Wort: 1917/18, so hieß es, da hatten die US-Amerikaner den Woodrow Wilson, die Russen hatten den Lenin, die Franzosen mit Clemenceau den personifizierten Rachedurst aus der Vorkriegszeit. Großbritannien durfte immerhin auf David Lloyd George zurückgreifen. Und wen hatten die Deutschen? Die hatten erst den Georg Michaelis, dann den Georg von Hertling und schließlich Prinz Max von Baden, als letzten Reichskanzler dieser Zeit. 

Ganz gerecht war diese spöttische Aufstellung natürlich nicht. Umfassende verfassungsmäßige Vollmachten standen dem US-amerikanischen Präsidenten Wilson sowieso aus seinem Amt heraus zu. Unbegrenzte und skrupellose Macht übte im Chaos der russischen Revolution ihr Anführer Lenin aus, so weit sie damals reichte, und wurde zum Symbol revolutionärer Ambitionen an vielen Orten der Welt. Zwischen Clemenceau und seinen Staatspräsidenten Raymond Poincaré paßte politisch kaum ein Blatt. Beide hatten den Krieg von 1914 gewollt und sich 1917 nicht gescheut, Soldatenaufstände gegen seine Weiterführung mit Massenerschießungen zu unterdrücken. 

Deutlich eingebundener agierte Lloyd George als britischer Regierungschef. Aber er hatte nach der Macht gegriffen und sich durchgesetzt, wegen seines persönlichen Rufs als Polemiker, als Radikaler, der sich nicht scheute, im Wahlkampf mit der Parole „Hang the Kaiser“ an die niederen Instinkte des Volks zu appellieren und für die Unterdrückung des laufenden irischen Aufstands die Parole auszugeben, es werde sich bei den beteiligten Truppen niemand juristisch dafür verantworten müssen, in gutem Glauben einen Iren erschossen zu haben. 

Kanzlerschaft ohne Visionen oder Machtwillen

Gegen diese Konkurrenz trat nun im Oktober 1918 Prinz Max von Baden an, als Kanzler der nun schon dritte Erbe Otto von Bismarcks auf diesem Posten in fünfzehn Monaten. Für dieses Amt brachte Max von Baden als Person manche Eigenschaft mit, die in letzter Zeit die bundesrepublikanische Aufmerksamkeit gefunden hat. Radikalität und Skrupellosigkeit gehörten allerdings nicht dazu, politische Visionen ebensowenig.

Das Jahr 2016 sah eine Sonderausstellung im badischen Karlsruhe zur Person dieses letzten kaiserlichen Regierungschefs. „Der Wunschlose“, lautete der Titel, „Prinz Max von Baden und seine Welt“. Weniger als Gesamturteil war dies gedacht, denn als Hinweis auf einen Decknamen, unter dem Max von Baden seit 1917 in den Wunschlisten politischer Machtverteilung auftauchte, die er und sein Freundeskreis heimlich anfertigten. Darin firmierte der Kaiser als „der Verwandte“, Erich Ludendorff als „der Onkel“ und der „Wunschlose“ manchmal eben als Kanzler, manchmal aber auch nur als Berater. 

Für energischen Machtwillen sprach dies nicht. Auch Max von Badens äußerst kurzer direkter Kontakt mit dem laufenden Krieg qualifizierte ihn eigentlich nicht für eine Führungsrolle in dessen Abwicklung. Als Thronfolger des Großherzogs von Baden hatte er es bis zum Generalleutnant gebracht, was in der damaligen Zeit für einen Adligen dieses Ranges allerdings kaum zu vermeiden war. 1911 ausgeschieden und 1914 für den Generalstabsdienst reaktiviert, kehrte er schon im Oktober 1914 wieder aus dem Dienst zurück, gesundheitlich angeschlagen, wie es hieß. Eine Rückkehr in den Frontdienst lehnte er dauerhaft ab und widmete seine Zeit der Kriegsgefangenenhilfe und dem gegenseitigen Austausch von Gefangenen. Das brachte ihm in gewissem Umfang internationale Kontakte ein. 

Der „Wunschlose“ teilte viele Vorlieben der damaligen Zeit, erwies sich als eifriger Besucher der Bayreuther Festspiele und studierte die Schriften von Houston Stewart Chamberlain. Zu den heute regelmäßig erwähnten Umständen seines Lebens gehört die Homosexualität. Obwohl verheiratet und Vater eines Sohnes, gehörte Max von Baden zu den wenigen Personen, die dies im Kaiserreich recht offen auslebten. Kaiser Wilhelm II. soll des öfteren abfällig vom „Bademaxe“ gesprochen haben, wenn neue Eskapaden in den Klatsch bei Hofe vordrangen.

Findige Forschung hat herausgefunden, daß er in seinen Briefen gelegentlich Ansichten äußerte, die nach heutigen Maßstäben als antisemitisch gelten. Doch pflegte er zugleich enge Freundschaften mit jüdischstämmigen Personen wie Ludwig Haas oder Max Warburg und beschäftigte mit Kurt Hahn einen jüdischen Privatsekretär, über den die Forschung einmal das Urteil gefällt hat, es sei bei Max von Baden überhaupt nichts zu finden, was ihm nicht zuerst von Kurt Hahn eingegeben worden sei. 

Insbesondere die Idee der Kanzlerschaft sei von Hahn überhaupt erst richtig entwickelt worden. Lothar Mach-than bezeichnete ihn in seiner Max-von-Baden-Biographie lapidar als „Kanzlermacher“. Die Beziehung mit Kurt Hahn überdauerte auch die Kaiserzeit. Man zog sich gemeinsam ins Privatleben zurück und gründete die Schule Schloß Salem, betrieb „Reformpädagogik“. Ein politischer Mensch war Max von Baden eigentlich nicht.

„Ich glaubte, fünf Minuten vor zwölf gerufen worden zu sein und mußte feststellen, es war schon fünf Minuten nach zwölf.“ Mit diesen bekannten Worten faßte er seine Amtszeit als Kanzler zusammen und versuchte damit, die eigene Verantwortung wegzuschieben. Seine Kanzlerschaft geriet allerdings nicht ohne eigenes Zutun zum völligen Desaster. 

Er verkündete eigenmächtig die Abdankung des Kaisers

Parlamentarisierung, also die Verantwortung der Regierung gegenüber dem Parlament und die Bildung der Regierung unter Einbeziehung von Abgeordneten schien das Gebot der Stunde. Sie stellte eine jahrelang erhobene Forderung dar und wurde mit den Oktoberreformen 1918 auch weitgehend verwirklicht. Eine treibende Rolle spielte Max von Baden auch dabei nicht, die Initiative ging von den Reichstagsfraktionen aus. Der neue Kanzler fand sich statt dessen einmal mehr „gesundheitlich angeschlagen“ und mußte Anfang November gar in einen 48stündigen Opiumschlaf versetzt werden. Wie der Medizinhistoriker Manfred Vasold 2008  herausfand, war er wohl prominentes Opfer der grassierenden Spanischen Grippe, die ihn von Mitte Oktober bis Anfang November – gerade in der entscheidenden Phase des Zusammenbruchs – völlig schachmatt setzte.  

Zum letztlichen Scheitern seiner Kanzlerschaft trug die völlig illusorische und wohl auch von Max von Baden geteilte Auffassung bei, wonach die Demokratisierung Deutschlands tatsächlich das wesentliche Kriegsziel der Gegner sei. Man glaubte insbesondere in den Reihen von Zentrum und Sozialdemokratie recht zuversichtlich, nach demokratischen Reformen von der anderen Seite – die Hoffnungen fixierten sich vor allem auf den US-Präsidenten Wilson – letztlich politisch anerkannt und belohnt zu werden. 

Wenn nur endlich Wilhelm II. geopfert worden sei und die bisherigen deutschen Machtverhältnisse nach westlichen Vorgaben umgekrempelt worden wären, dann habe man glaubwürdig die demokratische Gesinnung nachgewiesen. Genau dies strebte Max von Baden an, als er am 9. November 1918 eigenmächtig die Abdankung des Kaisers verkünden ließ und damit seine einzige geschichtsträchtige Tat vollbrachte. Für die erste Reihe der Staatsmänner dieser Zeit qualifizierte ihn dies in der Tat nicht. 

Da der Thron nun frei war, konnte sich der Kanzler für den Moment als staatliche Letztinstanz betrachten, und jeder der oben genannten Politiker hätte diese Situation begrüßt und genutzt. Am gleichen Tag gab Max von Baden aber die Kanzlerschaft freiwillig aus den Händen und schien froh, sie losgeworden zu sein. Die Bitte seines Nachfolgers Friedrich Ebert, als Reichsverweser weiterhin für Kontinuität zu sorgen, lehnte er ebenfalls ab. Inmitten einer entfesselten Welt geriet die innerdeutsche Politik damit zur Komödie. Das war es, was die Deutschen 1917/18 anders als die anderen Kriegsteilnehmer bekommen hatten. Verdient hatten sie es nicht.