© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/18 / 28. September 2018

Eintauchen in die Tradition
Die Benedikt-Option: Rod Dreher hat ein Handbuch zur Sicherung der abendländischen Identität vorgelegt
Michael K. Hageböck

Wozu einem Feind auf den Mauern standhalten, wenn es in der Burg nichts mehr zu beschützen gibt? Im Falle der Belagerung ist die Versorgung der Bürger ebenso notwendig wie ihre Verteidigung. Seine Energie allein auf den Waffengang zu verschwenden, ohne sich um jene Menschen zu kümmern, um derentwillen man die Schlacht führt, wäre paradox.

Nach Auffassung von Rod Dreher tobt um das Abendland ein geistiger Kampf, den er in seinem Buch „Die Benedikt-Option“ als größte Krise seit der Völkerwanderung bezeichnet. Noch kaschiere der äußere Wohlstand, daß der Westen an einem nie dagewesenen inneren Zerfall leide.Mit einem Streifzug durch die Geistesgeschichte zeigt der Autor auf, wie tief unsere aktuellen Probleme in Denkmodellen verankert sind, welche sich der Westen in einem Prozeß der Emanzipierung schrittweise zu eigen gemacht hat. Fast alle Menschen von links bis rechts haben ein ausgeprägtes Bewußtsein, Individuum zu sein, sich selbst und die Welt gestalten zu müssen, sich öffentlich mitzuteilen und digital Anerkennung zu suchen. Wir ruhen keineswegs in uns selbst, nehmen die Welt nicht als gegeben wahr, sondern erfinden sie ständig neu. Die öffentliche Meinung relativiert Werte, glaubt Moral selbst definieren zu müssen und erklärt das Geschlechtliche zu einer Frage der geschmacksbedingten Orientierung. 

Dreher stellt dar, wie der Nominalismus den Realitätsbezug zerstörte, die Renaissance eine optimistische Anthropologie brachte, das 16. Jahrhundert die religiöse Geschlossenheit Westeuropas zertrümmerte, die Aufklärung die Transzendenz in Zweifel zog, die Industrielle Revolution den Menschen von seinen natürlichen Lebensgrundlagen entfremdete und der internationale Sozialismus des 20. Jahrhunderts den Klassenkampf sowie die Sexuelle Revolution brachte. Eine fortlaufende Fragmentierung der Gesellschaft, eine sich steigernde Negierung der Werte, eine Auflösung der abendländischen Kultureinheit.

Die Antwort des Autors ist „Die Benedikt-Option“. Er empfiehlt jene Lebensregel, kraft derer aus den Wirren der Völkerwanderung die westliche Zivilisation erwuchs. Benedikt von Nursia verdanken die Siedlungsgebiete nördlich der Alpen ihre Teilhabe am Vermächtnis der Griechen und Römer; durch seine Mönche wurden die Germanen zu Christen und durch seine Klöster nahm unsere Kultur Gestalt an. In der Gedankenführung von Rod Dreher eignen sich die Weisungen Benedikts auch heute als Leitfaden für ein gelingendes Leben in Ordnung und Beständigkeit, Gebet und Askese, Gastfreundschaft und Ausgewogenheit. Mit Befolgung einer solchen Regel könne der Westen wieder an Lebenskraft gewinnen.

Der 1967 geborene Autor, bekannt geworden durch Beiträge in The American Conservative, rang lange mit metapolitischen Themen und hatte seine Not, sich weltanschaulich zu positionieren. Als Methodist aufgewachsen, wandte er sich zu Beginn der neunziger Jahre der katholischen Tradition zu und konvertierte 2006 zur byzantinischen Orthodoxie.

Suche nach dem Guten und Wahren

Das vorliegende Buch wirbt dafür, sich mit jener Literatur vertraut zu machen, die unsere Vorfahren prägte, sich mit unseren geschichtlichen Wurzeln auseinanderzusetzen und dem Glauben der Väter mit Wertschätzung zu begegnen. Eine zentrale Rolle mißt Dreher der Bildung bei, denkt über Privatschulen und Hausunterricht nach, über Selbsterziehung und Familienkultur. Während Lehrpläne darauf abzielen, junge Menschen für die Erwerbstätigkeit zuzurüsten, geht es der „Benedikt-Option“ darum, ihre Herzen zu formen. Hinwendung zum realen Leben, körperliche Ertüchtigung und Opferbereitschaft setzt er dem digitalen Lifestyle entgegen.

Der Wandel, welchen „Die Benedikt-Option“ anstoßen möchte, beginnt mit der Suche nach dem Guten und Wahren, nach dem Aufspüren des Schönen und Erhabenen, mit dem Eintauchen in das, was Tradition und Identität ausmacht. „Wir lesen die Bibel und erzählen den Kindern von den Heiligen. Und wir erzählen ihnen auch – im Obstgarten oder am Lagerfeuer – von Odysseus, Achill und Aeneas, von Dante und Don Quixote, von Frodo und Gandalf.“ 

Genau diese Referenzen gab vor wenigen Jahren Natalia Sanmartin Fenollera in ihrem Roman „Das Erwachen der Señorita Prim“ an, in dem sie erzählt, wie eine Ortschaft die abendländische Kultur wiederentdeckt. Auch sie ließ sich inspirieren von der überlieferten Liturgie in Nursia, in Le Barroux und in Clear Creek. Nun hat Rod Dreher das Sachbuch geliefert. In einer Rezension der New York Times wurde die „Benedikt- Option“ als das „am meisten diskutierte und wichtigste religiöse Buch des Jahrzehnts“ bezeichnet. Es bleibt dem Werk zu wünschen, daß möglichst viele Menschen seine Anregungen aufgreifen.

Rod Dreher: Die Benedikt-Option: Eine Strategie für Christen in einer nachchristlichen Gesellschaft. fe-Verlag Kisslegg, 2018 ,gebunden, 400 Seiten, 19,95 Euro