© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/18 / 28. September 2018

Dorn im Auge
Christian Dorn

Wer weiß, was der alles weiß!“ So raunt am Nachbartisch der Freund der ARD-Reporterin zu, als er vom neuen Arbeitsbereich des bisherigen VS-Präsidenten Hans-Georg Maaßen spricht. Wenig später übernehmen im Café der Sowjetzone wieder die beiden Künstler das Regiment. Der aus der DDR stammende schwärmt von der aktuellen Arte-Serie über die Zwischenkriegszeit und schlägt – als Antwort auf Sahra Wagenknechts Aktionismus – eine rechte Sammlungsbewegung namens „Aufsitzen!“ vor. Wir lachen uns für einen Augenblick gesund.


Der aus Kroatien stammende, hellwache Gastronom im West-Sektor schüttelt heftig den Kopf, als ich ihm beim Hereintragen helfen will. Energisch warnt er: „Hier kommt die Mutter aller Probleme!“ Im Nachgang frage ich mich: Was sagt eigentlich der „vierte Stamm“ Bayerns zum Bundesminister des Inneren? Ungewiß, was das noch werden soll, behelfe ich mich per Vers: „Merkel ist / Die Mutti / Aller Probleme / Ledig / Kinderlos (lies: Kinder, los!) / An die Macht. // Doch als ich schaute / War da schon die Raute / Über alle Maaßen / Ewig währt der Hände Druck / Im SED-Parteiabzeichen / Versteckt der Horst / Im Kanzleramt.“


Ganz anders die unerhörte Causa Horst Brasch, der einer jüdischen Fabrikantenfamilie entstammende, erst zum Katholizismus, dann zum Kommunismus konvertierte Spitzenfunktionär der SED (FDJ-Vorsitzender in Großbritannien, Gefährte Honeckers, stellvertretender DDR-Kulturminister), der seine Kinder im Glauben an den Sozialismus an den Staat verriet, darunter den ältesten Sohn Thomas, den später berühmtesten Sproß der Familie, der sich gleich durch sein erstes Buch („Vor den Vätern sterben die Söhne“) nach der Ausreise im Westen einen Namen machte. Kaum veröffentlicht, starb danach tatsächlich dessen Bruder, der Schauspieler Klaus Brasch („Jakob der Lügner“, „Solo Sunny“), die Brüder Peter und Thomas Brasch 2001. Annekatrin Hendels neuer Dokumentarfilm „Familie Brasch“ zeigt eine tragische Geschichte, tief in die DDR- und Literaturhistorie reichend, darin einstige Freunde und Partner wie Christoph Hein, Bettina Wegner oder Katharina Thalbach, den Filmproduzenten – und der Hinweis auf die Stasi-Informantin Anetta Kahane, die Klaus und Thomas Brasch als „Feinde der DDR“ denunzierte. Wie ein Zeichen finde ich am Wegrand den ausgesetzten Suhrkamp-Titel Thomas Braschs „Kargo“ von 1977, beim Aufschlagen stoße ich auf die Zeilen: „Das ist die Wahrheit jedes Aufstiegs, jedes Falles: / Nichts ist das Ziel, der Weg ist alles.“