© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/18 / 28. September 2018

„..., daß wir das so brav hinnehmen“
Wahlkampf: Während Konservative in der CSU auf Kontinuität setzen, wollen die in der AfD den Wandel
Hinrich Rohbohm

Der Kandidat legt selbst Hand an. Bayerns Wirtschaftsminister hat den Kofferraum seines Wahlkampfbusses geöffnet. Ein Dutzend Fußbälle mit blauem CSU-Schriftzug liegen darin in Netzen zusammengebunden. Franz Josef Pschierer ist in seinem Heimatwahlkreis Kaufbeuren unterwegs. Seit 1994 ist er hier Landtagsabgeordneter. Gerade hat er eine am Stadtrand ansässige Papierfabrik besichtigt. Jetzt steht im 20 Kilometer entfernten Kirchheim der Besuch eines Fruchtsaftunternehmens auf dem Programm. Er hängt sich eines der Netze mit den Fußbällen über die Schulter, steuert damit die Lagerhalle an. „Hallo, grüß Gott, wie geht’s? Alles gut?“ empfängt er die ersten Gäste. 

„Daß wir keine Berliner    Verhältnisse bekommen“

Leicht ist es nicht, mit ihm ein längeres Gespräch zu führen. Seit der 62jährige im März dieses Jahres die Nachfolge von Markus Söder als bayerischer Wirtschaftsminister angetreten hat, wollen viele zu ihm. „Franz, da hat noch einer eine Frage an dich.“ „Franz, kannst du mal kommen, da möchte jemand etwas dringend von dir wissen.“ „Franz, können wir ein Foto machen?“ Plötzlich klingelt das Mobiltelefon. Ernster Gesichtsausdruck. Pschierer verläßt die Halle. Worum es geht, läßt sich erahnen. Gerade läuft in den Medien die Meldung, daß Andrea Nahles (SPD) den Kompromißvorschlag der Koalitionsspitzen zum Fall Maaßen widerrufen hat. 

Nach wenigen Minuten kommt der Minister zurück, setzt sich zu den Gästen, hört zu, erklärt, steht wieder auf, geht von Tisch zu Tisch. Es ist eine jener unzähligen Veranstaltungen, die der 62jährige bis zum 14. Oktober zu absolvieren hat. Jenem Tag, an dem sich entscheiden wird, ob die CSU in Bayern ihre absolute Mehrheit verteidigen kann. Pschierer zeigt vier Finger. Bedeutet: 40 Prozent sollen es schon sein. Das ist nicht die absolute Mehrheit. Doch der Reserveoffizier und frühere Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung weiß, wie schwierig es dieses Mal für seine Partei werden wird. Denn mit dem Aufkommen der AfD ist eingetreten, was die CSU-Legende Franz Josef Strauß stets verhindern wollte: Eine Partei rechts von der Union hat sich etabliert. 

Viele Christsoziale machen dafür die CDU-Parteiführung in Berlin verantwortlich. Pschierer hält es für den falschen Weg, auf den Polit-Neuling verbal einzudreschen und zu behaupten, er stehe außerhalb des demokratischen Spektrums. „Ausgrenzen bringt nichts“, sagt der CSU-Politiker der JUNGEN FREIHEIT. „Ich distanziere mich von Gauland, Höcke und Konsorten, aber nicht von den Wählern der AfD. Die haben berechtigte Anliegen.“ Anliegen, die er nachvollziehen kann. „Dieses Land hat Maß und Mitte verloren“, sagt er. Er meint damit nicht Bayern, sondern Deutschland. „Wir sind inzwischen Hochsteuerland geworden. Ich wundere mich, daß wir das so brav hinnehmen, in Frankreich wären sie längst auf den Barrikaden.“ Gleichzeitig gebe der Bund das Geld für immer mehr soziale Wohltaten aus. „Dabei müssen wir doch jetzt Vorsorge treffen, daß man Schulden abbaut.“

Auch fordert er „mehr Mut und Selbstbewußtsein in bezug auf unsere eigene Kultur“. „Man gewinnt doch bei anderen keinen Respekt, wenn man auf Kreuz und Dirndl verzichtet.“ Zustimmendes Nicken und Tischeklopfen in der Runde. Für die Bayernwahl habe er nur einen Wunsch: „Daß wir keine Berliner Verhältnisse bekommen.“ Daß Bayern besser als alle anderen Bundesländer dastehe, liege vor allem daran, daß die CSU seit 70 Jahren die Rahmenbedingungen gesetzt habe. 

„Wenn wir in Berlin andere Verhältnisse hätten, wären wir schon weiter“, meint auch Thomas Jahn. Der Rechtsanwalt und Kaufbeurer CSU-Fraktionsvorsitzende ist der Listenkandidat im Wahlkreis. „Bei einem ähnlichen Ergebnis wie vor fünf Jahren stünden die Chancen gut, daß auch ich in den Landtag komme.“ Jahn macht sich angesichts der Umfragewerte jedoch keine Illusionen. „Bei der derzeitigen Stimmungslage ist da nichts drin.“ Für ihn ist es die erste Landtagskandidatur. 

„Der CSU a richtige Watschn verabreichen“

Jahn plädiert für mehr Freiheit, weniger Regulierung. So auch bei einer Parteiveranstaltung zur Datenschutz-Grundverordnung. Kaufbeurer Vereinsvorsitzende und Gewerbetreibende sind erschienen. Der 44jährige ist hier in seinem Element, kann seine beruflichen Erfahrungen einbringen. „Jede Zeit, die in Bürokratie fließt, fehlt Unternehmern bei der Wertschöpfung“, sagt er; nicht ohne darauf hinzuweisen, daß die unbeliebte Verordnung den Grünen zu verdanken sei. „Typisch grün: Es ist erst mal alles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt ist.“ Jahn erzählt von seinem Friseur, der aufgrund der Verordnung vor dem Haareschneiden plötzlich eine Einverständniserklärung von ihm haben wollte. Gelächter im Saal. Auch er warnt vor instabilen Verhältnissen. „Wer AfD wählt, wählt in Wirklichkeit eine Mehrheit für das linke demokratische Spektrum.“

In der AfD sieht man das erwartungsgemäß anders. „Jahrzehntelang hat sich die CSU das Land Bayern zur Beute gemacht“, sagt Katrin Ebner-Steiner, eine der AfD-Spitzenkandidaten zur Landtagswahl. Die 40jährige ist ins oberbayerische Peiting gefahren, wo Thüringens Partei- und Fraktionschef Björn Höcke als Gastredner geladen ist. „Ich bin mit ihm befreundet“, erzählt die Bilanzbuchhalterin, die dem nationalkonservativ ausgerichteten „Flügel“ ihrer Partei angehört. Mehrere hundert zumeist linksradikale Demonstranten protestieren vor der Halle, die von Polizisten geschützt werden muß. 

Drinnen spottet Höcke gerade über die Medien. Tagespresse zu lesen sei reine Lebenszeitverschwendung, erklärt er, ein Exemplar der FAZ in der Hand haltend, das er später symbolisch zu Boden schmeißen wird. Er spricht über den Verfassungsschutz. „Wenn sie uns jetzt in der finalen Phase beobachten lassen wollen, dann ist das ein Zeichen von Schwäche. Darauf können wir stolz sein“, ruft er laut ins Mikrofon. Die Menge tobt, einige erheben sich von ihren Plätzen und klatschen begeistert Beifall. 

Ebner-Steiners Wortwahl ist an diesem Abend ebenfalls deftig. „Wir werden der CSU a richtige Watschn verabreichen“, kündigt sie unter dem Jubel ihrer Anhänger in der gut gefüllten Peitinger Schloßberghalle an. „Wir werden den schwarzen Filz ausrotten.“ Und: „Wir werden nachladen.“ In ihrem Stimmkreis Deggendorf tritt sie deutlich moderater auf. Im Wahlprospekt bezeichnet sie sich als „moderne Konservative mit großer Liebe zu Bayern“. Hier kennt man die vierfache Mutter weniger als Frau der scharfen Töne. „Ich mag ihre unkomplizierte Art und ihre Bodenständigkeit“, beschreiben Passanten sie auf dem Deg

gendorfer Marktplatz. Katrin Ebner-Steiner hat mit ihrem Kreisverband hier einen Infostand aufgebaut. Ein blauer Pavillon mit AfD-Logo, Deutschlandfahne und ihrem Konterfei vor einer Berg- und Seelandschaft. „Den hab ich mir selbst gekauft.“ 2.500 Euro hat sie dafür bezahlt. Sie macht viele Dinge selbst. Während des Infostandes schnappt sie sich eine Leiter, hängt Plakate rund um den Deggendorfer Markt auf. „Die AfD steigt auf“, ruft ihr eine Frau aufmunternd zu, als sie die Politikerin mit Kabelbindern ausgerüstet oben auf der Leiter erblickt. Ebner-Steiner stimmt zu, freut sich. „Anfangs machten die Leute einen Bogen um uns, jetzt bleiben einige stehen und kommen zu uns“, freut sie sich. 

Früher habe sie in Bayern die CSU und auf Bundesebene die FDP gewählt. Das ist vorbei. Im März 2013 war sie auf die Gründung der AfD aufmerksam geworden. Eingetreten sei sie nicht sofort. Der Kreisverband habe ihr damals nicht gefallen. „Wenn dir das bei uns nicht paßt, mußt du selbst aktiv werden“, hätten AfDler damals zu ihr gesagt. Zwei Jahre später wird sie Mitglied, kurz darauf Kreisvorsitzende. Im Herbst vorigen Jahres wählt die Partei sie zur Vizechefin des Landesverbandes. Für den Bundestag tritt sie 2017 als Direktkandidatin an, erzielt mit 19,3 Prozent das beste AfD-Ergebnis in den westlichen Bundesländern. 

Überraschend ist das nicht. In Deggendorf befindet sich ein Aufnahmezentrum für Asylbewerber. Ein Brennpunkt im Ort. Katrin Ebner-Steiner ist in der Stadt geboren und aufgewachsen. Passives Mitglied der örtlichen Feuerwehr, auch beim BUND, im Kinderschutzbund und im Marienkapellenverein mit von der Partie. Während des Bundestagswahlkampfes hatte sie 1.500 Plakate eigenhändig aufgehängt. „Wenn man das selbst macht, kommt das beim Bürger besser an“, erklärt sie. Demonstrieren sei dagegen nicht so ihr Ding. Es ist schwer, Katrin Ebner-Steiner politisch zu verorten. Ist es das Geheimnis ihres Erfolges? „Vielleicht“, sagt sie. Aber: „Die beste Wahlwerbung betreiben für uns die Altparteien.“