© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/18 / 28. September 2018

Schwierige Suche
DDR-Unrecht: Der Bundestag soll das Schicksal zwangsadoptierter Kinder klären
Jörg Kürschner

Dem nachlassenden Interesse an der Aufarbeitung des SED-Unrechts will die Union jetzt offensiv mit der Aufklärung über Zwangsadoptionen in der DDR begegnen. Dort waren Kinder an linientreue Genossen vermittelt worden, wenn ihre Eltern als politisch unzuverlässig galten, etwa bei einem Fluchtversuch geschnappt worden waren. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion denkt an die Einrichtung einer Vermittlungsstelle, an die sich zwangsadoptierte Kinder und ihre leiblichen Eltern wenden können. Die Arbeit steht noch ganz am Anfang.

Rückblende. Bereits Ende 1975 hatte das Nachrichtenmagazin Spiegel aufgedeckt, daß es in der DDR politisch motivierte Zwangsadoptionen gegeben hat. Erst empörten sich Ostberliner Regierungsvertreter über eine „schmutzige Verleumdung des Staates der DDR“ und verwiesen den Spiegel-Korrespondenten Jörg Mettke des Landes, später räumten sie den staatlichen Kinderraub inoffiziell ein. Grundlage für dieses unmenschliche Vorgehen bildete Artikel 38 der DDR-Verfassung. Darin wird als Erziehungspflicht festgelegt, Kinder „zu staatsbewußten Bürgern zu erziehen“. Mit anderen Worten, nach sozialistischem Familienrecht gehörten Kinder weniger ihren Eltern als dem Staat. Versuchte „Republikflucht“ oder ein Ausreiseantrag konnten mit dem Entzug des Erziehungsrechts bestraft werden.

Bald 30 Jahre nach dem Mauerfall sei die Aufklärung schwierig, räumte CDU/CSU-Fraktionsvize Arnold Vaatz bei der Vorstellung des Eckpunktepapiers unumwunden ein. Zunächst soll eine wissenschaftliche Studie das Ausmaß des Problems klären. Zuständig für die Expertise und deren Umsetzung ist der Ostbeauftragte der Regierung, Christian Hirte (CDU). Bereits dessen Vorgängerin, die SPD-Politikerin Iris Gleicke, hatte eine Vorstudie zum Thema Zwangsadoptionen initiiert. Deren komplizierte Nachprüfbarkeit, auch aufgrund von Datenschutzbestimmungen, steht einer umfassenden Aufklärung bis heute entgegen.

Außerdem klaffen die Zahlen der Forscher und die Schätzungen der Opferverbände über die Zahl der Fälle auseinander. So geht der Verein „Interessengemeinschaft (IG) gestohlener Kinder der DDR“ von ungefähr 7.000 zwangsadoptierten Kindern im SED-Staat aus, was die Wissenschaftler bestreiten. Johannes Huber (AfD), Mitglied des Petitionsausschusses des Bundestags, hält 300 Fälle für erwiesen. Man wolle einen neuen Anlauf unternehmen, auch um die Menschen für das DDR-Unrecht zu sensibilisieren, betonte Vaatz.

Bisher keine Belege für vorgetäuschten Tod

Neben der Vermittlungsstelle denkt die Union an eine DNS-Datenbank, in der Kinder und Eltern auf der Suche nach leiblichen Angehörigen ihre genetischen Spuren hinterlassen können. Die Löschung wichtiger Daten in Sterberegistern, Totenscheinen, Krankenhäusern oder bei Hebammen soll untersagt werden. Gesetzliche Speicherfristen müßten entsprechend verlängert werden, heißt es in dem Papier weiter. Wenn eine Zwangsadoption wahrscheinlich erscheint, sollen die Betroffenen Vermittlungsakten und Personenstandsregister einsehen dürfen, um die Identität der Kinder zu klären. Leibliche Eltern und deren Kinder sollen als politische Opfer anerkannt und entschädigt werden.

In dem Eckpunktepapier wird auch das brisante Thema angesprochen, regimekritischen Eltern könnten angeblich verstorbene Kinder entzogen worden sein. Der ungeheuerliche Verdacht wiegt schwer, Säuglinge seien für tot erklärt worden, um verdienten Genossen zum unverdienten Familienglück zu verhelfen. Diese Vermutung äußerte Ende Juni Andreas Laake, Gründer der IG, während einer Anhörung des Petitionsausschusses. Es gibt Ungereimtheiten, etwa widersprüchliche Akten, fehlende Dokumente, Merkwürdigkeiten in Krankenhäusern im Umgang mit Säuglingen (JF 31/18). Darauf stützen sich die Betroffenen in ihrer schwierigen Suche nach der Wahrheit. Wissenschaftler wie der Historiker Christian Sachse bestreiten allerdings die These vom vorgetäuschten Säuglingstod. „Wir haben in den Akten keinen einzigen Fall gefunden.“

Wohl wegen der lange, mindestens 30 Jahre zurückliegenden Zwangsadoptionen und aufgrund einer wenig transparenten Aktenlage der DDR-Jugendämter dämpfte Vaatz die Erwartungen an die beabsichtigte Gesetzesinitiative der Union. „Da in manchen Fällen entweder eine Aufklärung des Schicksals der möglicherweise adoptierten Kinder trotz allem nicht gelingen wird“, heißt es zurückhaltend in dem Eckpunktepapier. Zunächst sei die Dimension des Problems unterschätzt worden, doch hätten die Betroffenen immer wieder auf ihr Schicksal aufmerksam gemacht, sagt Vaatz’ Kollege im Fraktionsvorstand Stephan Harbarth. Der Jurist berichtete von seinem Besuch in Argentinien. Dort sind während der Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 Oppositionelle entführt, getötet und ihre Kinder von fremden Familien adoptiert worden. Die Anlaufstelle in Buenos Aires helfe den Kindern nun, überlebende Elternteile oder Großeltern zu finden, erläuterte Harbarth. Man halte deshalb Kontakt mit dem argentinischen Botschafter in Berlin. CDU/CSU wollen sich zunächst mit dem Koalitionspartner SPD abstimmen und anschließend mit der Opposition sprechen. Für Parteipolitik taugt das sensible Thema Zwangsadoptionen nicht.