© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/18 / 21. September 2018

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Generaldebatte A: Wer andere Menschen in Gruppe wegen – angeblicher oder tatsächlicher – Defekte ihres Äußeren beschimpft, fällt unter die Kategorie der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, heute ein wichtiger Indikator für „Rassismus“.

˜

Mit der Nachhaltigkeit wird es nichts, weil sie jene Sparsamkeit voraussetzt, die man uns so erfolgreich ausgetrieben hat.

˜

Generaldebatte B: Die Begeisterung für den Beitrag des Abgeordneten Schulz zum Thema „Faschismus“ – stehende Ovationen bei Ganzroten, Hellroten, Grünroten, unterdrücktes Händezucken beim Rest, abgesehen von den Mandatsträgern der AfD – zeigt vor allem eins: Demokratiewissenschaft hat Folgen.

˜

Es gab auf der Rechten schon immer eine merkwürdige Spielart der Sympathie für die Achtundsechziger. Das hatte manchmal nur mit dem Wohlwollen gegenüber jeder Jugendbewegung zu tun, mit Wandervogelnostalgien oder freundlich gefärbten Erinnerungen an die eigenen Zeiten als Stürmer oder Dränger, im Braunhemd etwa. Entscheidender als das war aber die Scham, daß Leute wirklich Ernst machten. Daher die Verschwörermiene, mit der einer durchblicken ließ, daß er von Bernward Vesper wußte, der einst auch zu den „Dichtertagen“ in Lippoldsberg gekommen war und „zu uns“ gehörte, oder das Tremolo in der Stimme, wenn es um Baader und Ensslin und Meinhof ging, gegen die man sagen konnte, was man wollte, die aber wenigstens die Konsequenzen aus dem ewigen Gerede zogen. Dahinter steckte auch ein Minderwertigkeitskomplex, der sich bis heute nicht ganz verloren hat. Was erklärt, warum die revolutionäre Attitude auf Teile der heimatlosen Rechten so anziehend wirkt, der eine den Dutschke gibt, der andere die steilere Vergangenheit nachspielt. Anfang der Siebziger begannen die Linken mit Trotzkis Lederjacke und Lenins Kappe herumzulaufen und plötzlich von „proletarischem Internationalismus“ und der Organisation des Klassenkampfs zu faseln, heute kehren auf der Gegenseite Nationalbolschewismus und Zwischenkriegsfaschismus à la Drieu la Rochelle wieder. In milden Varianten zugegebenermaßen, und die Kleidung ist zwar monochrom, aber zivil, nur was die Verachtung des Bourgeois angeht, spuckt man schon große Töne.

˜

Die französische Regierung plant eine Untersuchungspflicht bei allen Neugeborenen im Hinblick auf Sichelzellenanämie. Diese genetisch bedingte Erkrankung tritt im Regelfall nur bei Menschen dunkler Hautfarbe auf. In Frankreich spielte sie vor Beginn des Bevölkerungsaustauschs keine Rolle, Regeluntersuchungen fanden nur bei Neugeborenen der Überseegebiete statt. Das soll jetzt geändert werden, und um sich keinesfalls dem Vorwurf der Diskriminierung auszusetzen, wird grundsätzlich jedes Kind medizinisch begutachtet.

˜

Es gab Zeiten, da hat die aufgeklärte Intelligenz jeden mit Hohn und Spott überschüttet, der „Volksverhetzung“ ins Feld führte. Schließlich stammte der Begriff aus Zeiten des Obrigkeitsstaates, als den gottgegebenen Herrschern sofort einleuchtete, daß der Untertanenverstand ein beschränkter war und ein mehr oder weniger blödes Objekt – das Volk – wohl geeignet, willkürlich aufgestachelt und manipuliert zu werden. Außerdem erschien der entsprechende Passus im Strafrecht als „Gummiparagraph“ vor allem geeignet, um abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen, und Assoziationen mit den Maßnahmen der NS-Zeit lagen sowieso nahe. Zugegebenermaßen hatte man die Entsprechungen auf seiten der DDR nicht im Blick, wo die „Boykotthetze“ zur „staatsfeindlichen Hetze“ geworden war und das allfällige Mittel bot, um angeblich oder tatsächlich Opponierende in Schach zu halten.

˜

In einer älteren Abhandlung zur Kulturgeschichte der Normandie geht es um die Bedeutung von Wald und Baum für die weiland heidnische Bevölkerung. Die von den Klöstern vorgenommenen Rodungen werden auch damit in Zusammenhang gebracht, daß so die Mission erleichtert wurde, weil die alten sakralen Plätze verschwanden. Eine ganze Zahl Heiligenlegenden berichtet vom Fällen der Haine oder Umstürzen der Bäume, die bis dahin verehrt worden waren. Das erinnert nicht zufällig an Überlieferungen aus Deutschland oder Skandinavien. Allerdings müssen die Germanen im Westen Frankreichs ganz besonders hartnäckig gewesen sein, was nicht nur die Menge an Kirchen und Wallfahrtsorten bei Waldplätzen erklärt, die einmal dem Gottesdienst der Heiden gedient hatten und die die Erinnerung daran im Namen tragen – Saint-Martin de l’If, Saint-Jean-des-Chênes, Saint-Martin-aux-Arbres –, sondern auch die Tatsache, daß zu den populärsten Pilgerzielen die Kapelle der Muttergottes von Allouville gehörte, die vor langem zusammen mit einer Eremitenklause in eine riesige, mehr als tausendjährige Eiche gebaut worden war.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 5. Oktober in der JF-Ausgabe 41/18.