© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/18 / 21. September 2018

Pankraz,
Frau Doherty und die böse Generation Y

Der Kampf der Generationen geht weiter. Maggie Doherty will jetzt in einem großen Artikel in der London Review of Books den „eigentlichen Schuldigen“ an der angeblichen geistigen Rechtswendung des Zeitgeistes ausgemacht haben; es sei die verflixte „Generation Y“, schreibt sie, jene um die Jahrtausendwende geborenen, heute siebzehn- bis dreiundzwanzigjährigen „Millennials“, die ihren inneren Kompaß total verloren hätten und nur noch auf Außenreize reagierten.

Während die stolzen Vorreiter der voraufgehenden „Generation X“, so Frau Doherty, „nie einem Club angehören wollten, den sie nicht selbst gegründet hatten, beziehen die Millennials ihr ganzes Selbstwertgefühl aus der Institution, die sie aufgenommen hat. Sie tendieren zwar (noch) zu linken Positionen, hoch im Kurs stehen bei ihnen aber auch Familienwerte, Religion und Therapien (…)  Und es gibt viele in dieser Generation, die genau wissen, daß sie die Nettigkeit der Obama-Ära hinter sich lassen und sich engagieren müssen in kollektiven, radikalen, entschieden unzivilen Aktionen.“

Generation Y also gegen Generation X – ist da etwas dran? Die schlichte, allzu schlichte Benennung der aufeinander folgenden Generationen mit alphabetisch aufeinander folgenden Buchstaben macht mißtrauisch. Eine etwas genauere Markierung der Kampfparteien muß man schon erwarten dürfen. Generationen sind sich von Natur aus nicht prinzipiell feindlich gesinnt. Es gibt Spannungen und Positionskämpfe, aber letztlich ist alles auf den Erhalt des die Generationen umgreifenden Gesamtsystems abgestellt. Gemeinsamkeiten überwiegen die Differenzen; sobald dieses Verhältnis umkippt, sind schwerste Krisen angesagt.


In der Regel werden solche Krisen durch bestimmte Wortungeheuer, rein semantisch zusammenhängende Ideologeme und religionsähnliche Großtheorien ausgelöst. Jugendliches Aufbegehren verwandelt sich unter ihrem Einfluß dann in regelrechte Kriegsstimmung, ältliches Besitzerbewußtsein in wild entschlossenes Beharrungsvermögen. Gewaltträume auf beiden Seiten finden Nahrung, man riskiert immer mehr brutale Gesetzesbrüche. Der Gedanke, daß man Generationszugehörigkeit auch genießen kann und sie als willkommenes Lebens- und Schaffenselixier nutzen sollte, schwindet rapide.

Freilich, die Übergänge von Generationsgenuß zum Generationenkampf sind fließend; in der Belletristik, der „schönen“ Literatur, von der Lyrik bis zum Roman, spiegelt sich diese Konstellation deutlich ab. Der Charakter der sogenannten „Generation Golf“, die wir in Deutschland um die Jahrtausendwende hatten und die zeitlich also mit der angelsächsischen Generation X zusammenfällt, war keineswegs so auf eigene Clubgründung begierig, wie Frau Doherty das so lobend ihrer X-Generation bescheinigt. Sie läßt sich viel eher mit der von ihr so sehr geschmähten Generation Y vergleichen.

Hier bei den Golfern wie dort bei den Millennials die entschiedene Ablehnung „innerer“, lediglich ausgedachter Ideologeme und Großtheorien, hier wie dort das nicht minder entschiedene Interesse für die Außenwelt, so wie sie wirklich ist; „Faserland“ hieß seinerzeit der der Richtung Stil gebende Roman von Christian Kracht. Sowohl die Generation Golf in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als auch die gegenwärtige Generation Y sind beziehungsweise waren scharf darauf, in die Einzelheiten zu gehen und scheinbar Nebensächliches, scheinbar bloß Herumliegendes genau zu erkunden.

Kürzlich war auf 3sat eine Dokumentation von Philipp Engel zu besichtigen, die der Kritik von Maggie Doherty beizuspringen suchte: „Ist weniger wirklich mehr?“ hieß die Sendung. „Natürlich ist weniger mehr“, war Engels Antwort. Es komme in faktisch allen Fällen des Lebens darauf an, den Kern der Dinge freizulegen, alle „bloßen Erscheinungen“ auf das Wesentliche zu reduzieren. Und wenn sich heutige Zeitgenossen, ob jung oder alt, durch die Fülle der Angebote und die endlosen Werbesprüche der Industrie zum Gegenteil verführen ließen, sei das hoch gefährlich, nicht zuletzt in der Politik.


Pankraz meint dazu: Natürlich ist keine halbwegs gediegene, ja auch schon keine erträgliche menschliche Existenz ohne ständige Verkürzungen und Verallgemeinerungen möglich. Andererseits gilt der Spruch des großen Dichters und Symbolisten Paul Verlaine: „Das Leben ist nur möglich durch Symbolik, aber es lohnt sich nur wegen der vielen farbigen, nicht symbolisierbaren Einzelheiten.“ Jeder Großideologe oder Politiker, der in blinder Verallgemeinerungswut (oder auch nur, um sein Pöstchen zu sichern) die Welt immer nur globalisieren, vereinheitlichen und mit Verboten überziehen will, ist von Übel.

Der vielerorts beobachtbare Umstand, daß sich die gegenwärtige Generation Y lieber an der gestrigen Generation Golf orientiert als an der gerade lauthals verröchelnden Generation X, ist dagegen ein echter Lichtblick. Er erspart uns wahrscheinlich überflüssige Generationenkämpfe, steigert die Lebensqualität und eröffnet nicht zuletzt der schönen Literatur neue Perspektiven, indem er die jeweiligen Generationszugehörigkeiten der Dichter gleichsam vom Schlachtenlärm befreit und ihnen wundersame, bisher womöglich noch gar nicht thematisierte Gefilde vors Auge rückt.

Wenn man will, kann man die gegenwärtigen Vorgänge im Hamburger Rowohlt-Verlag als Symbol für diese Vorgänge nehmen. Denn dort wurde soeben – unter größtem Protestgeschrei vor allem engagierter Feministinnen – die bisherige Verlags-chefin Barbara Laugwitz entlassen und durch Florian Illies ersetzt, dessen Roman „Generation Golf“ der besagten Generation einst den Namen gab und der als friedliebender Augenmensch und Faserland-Enthusiast sehr bekannt geworden ist. 

Beobachter der Szene winken allerdings ab. Es handele sich hier, sagen sie, um einen reinen Finanzvorgang. Frau Laugwitz habe dem Verleger zuwenig Geld eingebracht, und von Illies erhoffe man sich lediglich eine satte Ertragssteigerung.