© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/18 / 21. September 2018

Preis für dümmste Dax-Vorstände vorgeschlagen
Mises-Konferenz 2018: In München diskutierten Libertäre mit Thilo Sarrazin und Roger Köppel über Einwanderung und gesellschaftspolitische Utopien
Christian Dorn

Hölderlins Wort, „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, wäre programmatisch für das alljährliche Hochamt der erzliberalen Gralshüter: die inzwischen sechste Konferenz des Ludwig von Mises Instituts, die sich vergangenes Wochenende in München der „Politik zwischen Wirklichkeit und Utopie“ widmete. Der Titel verwundert nicht, war doch mit Thilo Sarrazin ein Gast geladen, der das politische Wunschdenken analysiert hat, dessen jüngster Beweis die offiziösen Meldungen zum vermeintlichen Ende der Eurokrise sind.

Dabei leistet das Mises-Institut selbst beeindruckende Aufklärungsarbeit, wie dessen Präsident Thorsten Polleit, Chefvolkswirt der Degussa, einleitend bewußtmachte: So sei allein im August 2018 die Netz-Präsenz des Instituts 350.000mal aufgerufen worden – eine unvergleichliche Wirkung für libertäre Projekte im deutschsprachigen Raum. Abgerundet wurde diese Vorstellung durch ein brandneues Buch, die von Polleit verfaßte Einführung „Ludwig Mises für Jedermann. Der kompromißlose Liberale“ (Verlag Frankfurter Allgemeine).

Die erste Bestandsaufnahme lieferte Sarrazin in seinem Vortrag über „Einwanderung und Bildung als Vehikel politischer Utopie“, welche nicht von Theologie zu trennen sei. Alle Utopien verfolgten das Ziel der Gleichheit, die aber ohne empirischen Gehalt sei, denn das menschliche Bewegungsgesetz sei die Ungleichheit. So wie diese für das Leben stehe, stünde die Gleichheit für den Tod, was den Vortragenden selbst überrascht: „Das ist mir eben eingefallen, das steht nicht im Manuskript.“ An den Beispielen NRW (keine Benotung) und Frankreich (Abschaffung der zweiten Fremdsprache) verdeutlichte er die Gleichheitsutopie in der Bildung. Zudem habe die Gastarbeitereinwanderung seit den sechziger Jahren bis heute das deutsche Sozialprodukt gesenkt und die Sozialkassen belastet.

Dabei definiert der ehemalige Berliner SPD-Finanzsenator fünf Lebenslügen: Herrschte in den Sechzigern und Siebzigern der Tenor, die Kinderzahl sei völkisch und nicht relevant, folgte dieser Lüge der Glaube, Frauen müßten arbeiten und wir brauchten Einwanderung, um den Lebensstandard zu sichern. Die vierte und fünfte Lebenslüge bestehe darin, über Bildung Gleichheit herzustellen, und durch diese Gerechtigkeit.

In diesem Zusammenhang wirkt Polleits Reflexion über „Die Utopie der sozialen Marktwirtschaft“ erhellend, impliziere doch das Attribut „sozial“ eine ursprünglich asoziale Marktwirtschaft, welche durch diese „semantische Unaufrichtigkeit“ bereits in Frage gestellt sei. Da der Begriff „sozial“ inhaltlich beliebig gefüllt werden könne, sei eine objektive Definition unmöglich, weshalb Ludwig Erhard niemals den Terminus „soziale Marktwirtschaft“ verwendet habe.

Tatsächlich sieht Polleit auch den Ordoliberalismus als Gefahr, da dieser zum Dritten Weg führe und letztlich sozialistischen Vorstellungen folge, weil sie automatisch eine Interventionsspirale in Gang setze (aktuelles Beispiel: Mietpreisbremse). Aus seiner Sicht lautet die Gleichung: Marktwirtschaft gleich Kapitalismus gleich Selbstbestimmungsrecht. Letzteres impliziere den Austritt aus dem Staat („Privatrechtsgesellschaft“, wie in Liechtenstein möglich), was Sarrazin als „reine Utopie“ abtat. Vielmehr gebe es „keine absolute Wahrheit, auch nicht im Recht, es ist eine Frage der Macht“. Denn die „Wirklichkeit des staatlichen Lebens liegt jenseits der Theorie“, ordnungspolitische Fragestellungen bildeten nur einen winzigen Teil dessen ab.

Daher scheint Roger Köppels Plädoyer für „die andere Sicht“ in Journalismus und Politik folgerichtig. Er nannte die Causa Maaßen eine „kafkaeske Situation“, gerade so, wie die Störung eines Gottesdienstes. Da meldet sich der berüchtigte Gegner der Dax-Vorstände, Ekkehard Wenger, der wegen der „Hexe aus der Uckermark“ ausgewandert ist. Dem Vorschlag des emeritierten Würzburger BWL-Professors, alljährlich die dümmste Äußerung eines Dax-Vorstandes mit einem Negativ-Preis zu würdigen, stimmte auch Sarrazin sofort zu.