© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/18 / 21. September 2018

Leben in der Bude
Ein Jahr AfD im Bundestag: „Liefern wie versprochen“
Christian Vollradt

Wer dieser Tage mit Politikern oder Mitarbeitern der AfD-Fraktion im Bundestag spricht, hört einen Satz häufiger: Man könne es eigentlich noch gar nicht fassen, „daß wir hier sind“. Ein Jahr ist es nun her, daß am 24. September 2017 der blaue Balken auf dem Bundestagswahldiagramm nach oben schnellte und bei 12,6 Prozent stehenblieb. Trotz dieses Erfolgs unkten einige Auguren, die Fraktion zerbreche schon, bevor sie sich richtig konstituiert habe. Doch das war nicht der Fall; ohne größere Konfrontationen der innerparteilichen Lager gingen die 92 Abgeordneten – überwiegend Parlamentsneulinge – zu Werke. Mit ihrem während einer Pressekonferenz inszenierten Abgang am Tag nach der Wahl habe Ex-Parteichefin Frauke Petry sogar zur Stabilisierung und Selbstdisziplinierung der Fraktion beigetragen, sind manche überzeugt.

Wichtige Stellen für Referenten noch unbesetzt

In einem sind sich die meisten Beobachter einig: Mit der AfD sind die Debatten leidenschaftlicher geworden. Noch eine Folge: Die Anwesenheit im Plenum hat sich erhöht, auch die anderen Fraktionen wollen sich nun nicht mehr mit leeren Reihen die Blöße geben oder die Beschlußunfähigkeit riskieren. „Selbst Bundestagsmitarbeiter sagen mir erleichtert: ‘Endlich ist hier wieder Leben in der Bude’“, berichtet AfD-Fraktionsvize Leif-Erik Holm im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. „Rekordeinschaltquoten bei Phoenix und millionenfache Aufrufe unserer Reden im Netz zeigen, daß sich wieder mehr Bürger für politische Diskussionen interessieren.“ Dadurch werde auch ein breites Meinungsspektrum unserer Gesellschaft abgedeckt, ist Holm überzeugt: „Das ist wichtig für den Erhalt der Demokratie.“ 

Große Bedeutung haben in diesem Zusammenhang die sozialen Netzwerke, sieht sich die Fraktion doch weiterhin von den klassischen Medien benachteiligt. Die Reichweite bei Facebook und Co. ist immens. Etwa 1,2 Millionen Besucher lesen pro Woche, was das Social-Media-Team unter Leitung von Mario Hau produziert. Mit 71.000 Fans der Facebook-Seite liegt die AfD im Bundestag auf Platz 2 hinter der Linksfraktion. Bei den Interaktionen – also „gelikten“, geteilten oder kommentierten Beiträgen – führt sie mit durchschnittlich 680.000 pro Woche. Das stärke die Bindung der eigenen Anhängerschaft, bringe aber auch neue Interessenten, ist man sich in Haus Team sicher. 

Kopfzerbrechen bereitet manchem in der Führung allerdings die Personalsituation. Bei einigen Referentenposten klaffen deutliche Lücken zwischen Soll- und Ist-Wert. Beim Arbeitskreis Recht ist derzeit nur eine Stelle von drei besetzt, bei der Kultur nur eine von vier und beim Arbeitskreis Haushalt zwei von sechs. Noch schlechter stehen die Ressorts Innen und Finanzen da: jeweils alle drei Referentenposten sind noch unbesetzt. 

Der AfD-Fraktion fällt die Rekrutierung schwerer als anderen. Denn: „Viele qualifizierte Bewerber haben am Ende dann doch Angst vor sozialer Ächtung und Ausgrenzung“, gibt der stellvertretende Fraktionschef Holm zu bedenken. Andere, die lieber nicht namentlich zititert werden wollen, suchen auch in den eigenen Reihen eine Teilschuld. Abgeordnete hätten die Namen zweier Bewerber für den Posten des Fraktionsgeschäftsführers durchgestochen, eine parteiinterne Kampagne gegen die Betreffenden vom Zaun gebrochen – und damit auch potentielle Bewerber verschreckt. 

Holm ist indes sicher: „Wir werden uns im kommenden Jahr weiter professionalisieren. Man bringe Stück für Stück das ein, was man den Bürgern versprochen habe: „Grenzkontrollen, Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft, Abschaffung des Soli: wir liefern!“ Allerdings zeige sich, daß Anträge der AfD aus Prinzip abgelehnt würden. Daß die AfD-Fraktion mit Anfragen und Initiativen durchaus etwas bewegen kann, zeigt das Beispiel des Kindergelds, das ins EU-Ausland fließt (JF 34/18). Das Thema wurde von den Medien aufgegriffen und überwiegend im Sinne der AfD als Mißstand benannt. Hier können die Neuen die GroKo genüßlich vor sich hertreiben. Denn eigentlich lagen ja schon entsprechende Pläne zur Indexierung in den Schubladen – ausgearbeitet unter anderem von SPD-Ministern. 

„Alles in allem können wir als die Neuen im Parlament sehr zufrieden sein, trotz kleiner Fehler hier und da“, gibt sich Holm zuversichtlich. Nun gehe es darum, „langfristig das Vertrauen der Bürger zu gewinnen“.