© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/18 / 21. September 2018

Ländersache: Sachsen
Wunden der Wende
Paul Leonhard

Die Geschichte der Treuhand, die den Deutschen letztlich als Erfolg verkauft wurde, ist bis heute ein dunkles Kapitel der Wiedervereinigung. Daß der Vorschlag von Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD), dieses jetzt unter die Lupe zu nehmen, beim Koalitionspartner CDU für Empörung sorgt, ist aus deren Sicht verständlich. Agierte die Treuhand doch in der Hochzeit der Christdemokraten, als sie dank der Persönlichkeit von Kurt Biedenkopf allein den Freistaat regierten und auch sanierten.

Dabei unterstellt die Ministerin nicht einmal ansatzweise, es könnte unter der absoluten CDU-Herrschaft nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Die Wahrheitskommissionen sollten weniger die Schuldfrage stellen, als vielmehr die Wirklichkeit des Umbruchs und des Agierens der Treuhand aufzeigen, sagte Köpping. Eingerichtet werden sollen sie dort, wo die Bevölkerung es wünsche. Mythos oder berechtigter Vorwurf – das müsse aufgearbeitet werden.

Es sei gut, daß die Debatte über die Probleme und Traumata der Nachwendezeit neu entfacht wird, lobte der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Chemnitzer SPD-Stadtratsfraktion Detlef Müller den Vorstoß. Bei vielen Ostdeutschen seien die Wunden bis heute nicht verheilt, die Wende und Nachwendezeit gerissen haben. 28 Jahre nach dem Sturz des SED-Regimes durch die Friedliche Revolution ist ein guter Zeitpunkt, um nicht nur die Arbeit der Treuhand, sondern die gesamte Nachwendezeit umfassend aufzuarbeiten.

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) geht noch einen Schritt weiter. Er will derartige Kommissionen nicht nur auf lokaler, sondern auch auf Bundesebene einrichten. Damit greift er nach knapp einem Jahr einen Vorschlag der SED-Nachfolger auf, die sich für eine Enquetekommission des Bundestages zur Treuhand ausgesprochen und die SPD um Unterstützung gebeten hatten.

Die damalige Deindustrialisierung Ostdeutschlands habe massenhaft Erwerbsbiographien unterbrochen und zu Langzeitarbeitslosigkeit und Altersarmut geführt, sagte Rico Gebhardt, Vorsitzender der sächsischen Linken. Eine Kommission auf Bundesebene müsse aufklären, heilen und befrieden, „damit wir dem Ziel der Wiedervereinigung, wirklicher innerer Einheit, wieder ein Stück näher kommen“, sekundiert Sozialdemokrat Müller. Sachsens CDU trat dem Vorschlag der Ministerin überraschend scharf entgegen. Köpping schieße über das Ziel hinaus, sagte Generalsekretär Alexander Dierks. Man lehne die Einrichtung von „Wahrheitskommissionen“ ab. Im übrigen sei es ihm unverständlich, warum die Ministerin einen Begriff wähle, der an die Aufarbeitung autoritärer Herrschaft in Südamerika, Osteuropa oder Südafrika erinnere.

„In einem historischen Zusammenhang müssen Begriffe immer mit Bedacht gewählt werden“, findet auch Sozialdemokrat Müller. Eine Kommission zur Aufarbeitung der Arbeit der Treuhand solle ja nicht die Verbrechen der SED-Diktatur untersuchen, sondern die Ungerechtigkeiten und Verwerfungen, die infolge des Endes dieser Diktatur eingetreten sind, und zwar auch durch die Maßnahmen einer noch in der DDR gegründeten, demokratisch legitimierten gesamtdeutschen Behörde.