© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/18 / 21. September 2018

Kesseltreiben gegen Kritiker
Im Fall Maaßen profiliert sich CDU-Chefin Merkel als Kanzlerin einer linken Gesinnungsrepublik
Michael Paulwitz

Der Fall Maaßen – er ist ein Meilenstein auf dem Weg der Bundesrepublik Deutschland vom Rechtsstaat in den Willkür- und Gesinnungsstaat. Von dem tagelangen Koalitionsgezerre um den Kopf des Verfassungsschutz-Chefs geht eine fatale Botschaft an Beamtenschaft und Institutionen aus: Wer der Kanzlerin widerspricht, fliegt; und wenn es das Überleben der Regierungschefin erfordert, ist kein Opfer zu groß, weder Fakten noch Regeln und Rechtswege können sie dann aufhalten.

Hans-Georg Maaßen stand schon länger auf verschiedenen Abschußlisten. Mit der Kanzlerin hat er es sich verdorben, seit er im „Willkommens“-Herbst 2015 Merkels Entscheidung für unkontrollierte Asyl-Zuwanderung als Fehler kritisiert hatte – durchaus logisch vom Standpunkt des Chefs einer Sicherheitsbehörde, der auch für die Abwehr von Terrorgefahren zuständig ist. Und der SPD war der Präsident des Inlandsgeheimdienstes ein Dorn im Auge, weil er beim Drängen auf eine Verfassungsschutz-Beobachtung der existenzbedrohenden AfD-Konkurrenz auf der Bremse stand.

Die „Hetzjagd“-Kontroverse um die Ereignisse während der Chemnitzer Messermord-Proteste bot beiden die willkommene Gelegenheit, alte Rechnungen zu begleichen. Mit der Forderung nach einer Entlassung Maaßens rannte die SPD bei der Kanzlerin offene Türen ein; die Drohung mit dem Bruch der Koalition hat den in den tiefsten Umfragekeller abgestürzten Sozialdemokraten vermutlich sowieso niemand ernsthaft abgenommen.

Daß Bundesinnenminister Horst Seehofer sich als Dienstherr vor den Behördenchef stellte, bot dabei den für SPD und Kanzlerin gleichermaßen nicht unwillkommenen Nebeneffekt, den gelegentlich immer noch aufmuckenden CSU-Vorsitzenden weiter zu kujonieren. Seehofer nämlich hätte den ihm unterstellten Behördenleiter feuern müssen, träte der nicht selbst zurück.

Weigerte sich der Innenminister, hätte ihn die Kanzlerin in dieser Frage entmachten müssen. Allein daß diese Option im Raum stand, deren Zulässigkeit nicht einmal geklärt ist, offenbart den Verfall des politischen Umgangs mit dem Berufsbeamtentum. Den Gesichtsverlust hätte Horst Seehofer aber auch kein anderer fauler Kompromiß ersparen können.

Unappetitlich am politischen Kesseltreiben gegen Maaßen ist vor allem das Eiferertum, mit dem die Behauptung einer angeblichen „Hetzjagd“ auf Migranten in Chemnitz zur Frage der Staatsräson erhoben wurde. Daß Maaßen gehen müsse, weil er „Verschwörungstheorien“ über die Ereignisse in Chemnitz verbreitet habe, ist selbst eine Verschwörungstheorie, die unter anderem von Juso-Großsprecher Kevin Kühnert und seinen medialen Wasserträgern in Umlauf gebracht wird.

Nach Schauprozeßmanier wurden nach und nach ganze Sündenkataloge gegen Maaßen in Stellung gebracht. Substantiell bleibt wenig davon übrig: Deutliche Formulierungen in seiner zwanzig Jahre alten Asylrechts-Dissertation, entstanden zu einer Zeit, da Asylkritik noch nicht unter Generalverdacht stand; seine „Kontakte“ zur AfD beschränkten sich auf fünf von über zweihundert Politikergesprächen, und die angeblich von ihm weitergegebenen „Geheiminformationen“ entpuppten sich als sowieso zur Veröffentlichung vorgesehenes Material. Nur am Rande wurde nochmals aufs Tapet gebracht, was man ihm noch am ehesten vorhalten konnte – sein wohl wahrheitswidriges Abstreiten, daß es einen VS-Informanten im Umfeld des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri gegeben habe.

Maaßens eigentliches und Hauptvergehen ist nämlich nicht die Verbreitung, sondern die Zerschlagung einer Verschwörungstheorie: der Legende nämlich, nach dem Messermord von Chemnitz habe ein „rechtsradikaler Mob“ eine „Hetzjagd auf Migranten“ veranstaltet.

Der Verfassungsschutz-Chef hat dazu lediglich ausgesprochen, was jedem unvoreingenommenen Beobachter ebenfalls einleuchten mußte: Ein aus dubioser „Antifa“-Quelle in Umlauf gebrachter Videoschnipsel, auf dem einige Einzelpersonen kontextlos anderen hinterherlaufen und diese anpöbeln, taugt nicht als Beleg für eine „Hetzjagd“, sondern wurde offenkundig mit irreführendem Etikett verbreitet.

Damit allerdings hatte er sich gegen die Kanzlerin gestellt, die sich die „Antifa“-Legende von der „Hetzjagd“ über ihren Regierungssprecher zu eigen gemacht hatte und daran festhält. Die Frage des Grünen-Dissidenten Boris Palmer – solle man eher der „Antifa“ glauben oder dem Präsidenten des Verfassungsschutzes – läuft daher ins Leere. Merkel, die SPD und die Grünen glauben natürlich der „Antifa“, weil es für sie opportun ist: für die Kanzlerin, weil sie lieber das Staatsvolk als braunen Mob denunziert, als einen Fehler zuzugeben, für die anderen, weil sie den Vorwand brauchen, um endlich die Verfassungsschutzkeule gegen die AfD auszupacken.

Der Verfassungsschutzpräsident, der da mit lästigen Fakten dazwischenpfuscht, muß eben deswegen weg. Weil er der Kanzlerin widersprochen hat, sagen SPD-Hinterbänkler Martin Schulz und Robert Habeck, Parteichef der zu Unrecht als Oppositionspartei zur Regierung Merkel betrachteten Grünen; weil er sich „tagespolitisch eingemischt“ habe, sagt die Kanzlerin, die damit zugleich einräumt, daß die Frage, ob in Chemnitz eine „Hetzjagd“ stattgefunden habe, für sie eine Frage der tagespolitischen Opportunität ist, bei der Fakten nicht zu interessieren haben.

Wohin die Reise gehen kann, zeigen die Gedankenspiele der Grünen-Politiker Konstantin von Notz und Irene Mihalic zu einer „Neugründung“ des Verfassungsschutzes als Schwert des Kampfes „gegen Rechts“. Man muß Hans-Georg Maaßen persönlich nicht bedauern, er fällt nach oben; aber politisch räumt sein Abgang ein entscheidendes Hindernis für eine solche Neo-Stasi auf die Seite. Und das ist das eigentlich Beunruhigende an der ganzen Affäre.