© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/18 / 14. September 2018

Rettungsanker aus der Türkei
Bahntechnikmesse: Die deutsche Branche beschäftigt 200.000 Mitarbeiter / Harte Konkurrenz aus Asien?
Christian Schreiber

Kommenden Dienstag beginnt in Berlin die Verkehrstechnikmesse InnoTrans. Passend dazu wurde in dieser Woche bekannt, daß die Türkei ihr lückenhaftes und weitgehend daniederliegendes Schienennetz massiv erweitern, elektrifizieren und mit digitaler Signaltechnik ausrüsten will. Den 35-Milliarden-Euro-Auftrag soll ein Konsortium unter Führung von Siemens erhalten, berichtete der Spiegel. China sei aus dem Rennen, denn die Bundesregierung locke mit Exportbürgschaften und zinsgünstigen Krediten. Das Megaprojekt biete die Chance, eine Verschärfung der türkischen Währungs- und Wirtschaftskrise zu verhindern.

Spanier und Chinesen schon aus dem Rennen?

Im Frühjahr hatte Siemens schon einen 340-Millionen-Vertrag zur Lieferung von weiteren ICE-Zügen („Velaro“) mit der türkischen Staatsbahn TCDD an Land gezogen. Bereits seit 2015 verkehren sieben achtteilige Velaro (HT80000) auf den 533 Kilometern zwischen Ankara und Istanbul-Pendik sowie auf dem Abzweig Richtung Konya. Der spanische Bahnhersteller CAF, der ab 2007 die ersten zwölf TCDD-Hochgeschwindigkeitszüge (HT65000) lieferte, ist damit offenbar aus dem Rennen.

Jenseits des anvisierten Türkeigeschäfts überwiegen aber die Sorgenfalten bei der deutschen Bahnindustrie. Die Chinesen hätten „einen Masterplan, und mit dem wollen sie die chinesische Bahnindustrie zur absoluten Nummer eins bringen, weltweit“, erklärte Volker Schenk, Präsident des Branchenverbands VDB dem Handelsblatt. Der Export der deutschen Bahnfirmen brach 2017 laut VDB um fast ein Viertel auf 4,7 Milliarden Euro ein. „Die global wachsende Tendenz zur Marktabschottung hinterläßt hier Spuren“, so Schenk. Gemeinsam mit seinen Kollegen aus dem benachbarten Ausland hat sich der VDB-Chef daher an die Politik gewandt: Die europäische Bahnindustrie fordere bei öffentlichen Aufträgen von den europäischen Staaten Mindestwertschöpfungsklauseln und andere Abwehrmaßnahmen gegen unfaire Konkurrenz.

Noch ist die europäische Eisenbahnindustrie führend: 46 Prozent des Welthandels mit Loks, Wagen und Signaltechnik werden unter Führung von Alstom, Bombardier und Siemens in Europa entwickelt und gebaut. Doch das Freihandelsabkommen EU-Japan (Jefta) bietet nun japanischen Anbietern weitgehenden Marktzugang. Bereits 2015 hat Hitachi die Mehrheit am italienischen Bahnkonzern Ansaldo STS übernommen. Und Hitachi-Schnellzüge rasen schon seit einigen Jahren über britische Eisenbahnstrecken.

Dem wachsenden Druck aus Japan und künftig auch China soll nun mit Fusionen begegnet werden. Doch dabei gibt es Probleme. So hat die australische Wettbewerbsbehörde ACCC Bedenken wegen der geplanten Fusion des französischen TGV-Herstellers Alstom mit der Zugsparte von Siemens geäußert. Die beiden Bahnkonzerne wollen die Vereinigung der Nummer zwei und drei auf dem Weltmarkt eigentlich bis Mitte 2019 abschließen. Doch Brüssel stellt sich quer. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat im Juli massive Bedenken geäußert. Dabei geht es nicht nur um die drohende Dominanz bei den Schnellzügen (ICE, TGV & Co.). Es sei zudem derzeit „unwahrscheinlich“, daß neue Anbieter aus China in absehbarer Zeit in die hiesigen Märkte für Züge und Signaltechnik vordringen würden, zitierte das Handelsblatt Vestager. Der chinesische Zugkonkurrent CRRC habe zwar 31 Milliarden Dollar Jahresumsatz (doppelt soviel wie die Zugsparten von Siemens und Alstom zusammen), aber die Chinesen würden 90 Prozent des Umsatzes in der Heimat erwirtschaften.

„Dann schaffen wir es auf der ganzen Welt“

Daß die Chinesen einen Kleinauftrag der Deutschen Bahn (DB) zur Lieferung einiger Hybrid-Rangierlokomotiven (kombinierter Diesel/Elektroantrieb) an Land gezogen haben, läßt die EU dabei ebensowenig gelten wie die Tatsache, daß der EU-Kandidat Mazedonien einige Schnellzüge in China bestellt hat. CRRC war der weltweit einzige Hybridanbieter, und der Marktwert für den DB-China-Deal soll nur 2,5 Millionen Euro pro Lok betragen – das ist im Vergleich zu DB-Milliardenaufträgen bei Alstom, Bombardier oder Siemens vernachlässigbar. CRRC-Chef Qinghe Zhou freute sich dennoch: „Wenn wir es auf dem deutschen Markt schaffen, dann schaffen wir es auf der ganzen Welt.“

Der VDB beklagt hingegen unlautere Wettbewerbsbedingungen. China verkaufte in zehn Jahren für mehr als neun Milliarden Euro Bahntechnik nach Afrika und habe dies alles weitgehend über die staatseigene Exportbank finanziert. China fördere seine Exporte mit Staatsbeihilfen – so argumentiert auch Donald Trump. Sein Wahlversprechen „America first“ wird aber nicht nur Richtung Reich der Mitte konsequent umgesetzt. Und die „Buy American“- Gesetze der USA sind keine Trump-Erfindung, sondern jahrzehntealt. Das Freihandelsabkommen TTIP ist auch an EU-Bedenken gescheitert. Neu ist nur die Trump-Vorgabe, künftig 70 Prozent der Wertschöpfung in den USA zu erbringen. Die EU sei hingegen der offenste Markt der Welt und es sei an der Zeit, Gegenmaßnahmen einzuleiten, fordern die Bahnindustriellen.

Allein in Deutschland geht es dabei um 190 Firmen, die 50.200 direkt – und vor allem gut bezahlte – Beschäftigte haben. Hinzu kommen 150.000 Mitarbeiter bei Zulieferern. Europaweit geht es um etwa 400.000 Arbeitsplätze. Daher sollte ein Alarmsignal sein, was der schwäbische Maschinenbaukonzern Voith vorhat: Nach einem Bericht der Welt am Sonntag plant Voith in seiner Eisenbahntechniksparte die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens mit CRRC. Das Vorhaben sei bereits beim Bundeskartellamt angemeldet.

Die Verkehrstechnikmesse InnoTrans läuft vom 18. bis 21. September in Berlin: www.innotrans.de/