© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/18 / 14. September 2018

Am Ende war alles ganz anders
Falschnachrichten dienten Gerhard Schröders „Aufstand der Anständigen“ zur Legitimation: Düsseldorf, Sebnitz, Bautzen – Eine kleine Rückschau von Presse-Enten gegen Rechts
Martina Meckelein

Düsseldorf, 27. Juli 2000: Am S-Bahnhof Wehrhahn explodiert eine TNT-Rohrbombe. Zehn Menschen werden teils lebensgefährlich verletzt, eine Schwangere verliert ihr ungeborenes Baby. Sechs der Opfer sind jüdische Zuwanderer. Eine 70köpfige SoKo kommt jahrelang zu keinem Ermittlungsergebnis. Am 31. Januar 2017 wird dann doch ein Deutscher mit rechtsextremistischem Hintergrund festgenommen. Vorwurf: Versuchter Mord in zwölf Fällen. Motiv: Fremdenfeindlichkeit. Urteil am 31. Juli 2018: Freispruch. Staatsanwalt und Nebenklagevertreter gehen in Revision.


Düsseldorf, 2. Oktober 2000: Nachts werden Steine und Brandsätze auf die Neue Synagoge geworfen. Der Eingangsbereich brennt. Eine Anwohnerin kann das Feuer austreten. Sofort werden, ohne die Ermittlungen abzuwarten, Rechtsextreme hinter dem Anschlag vermutet. Am 4. Oktober ruft Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) den „Aufstand der Anständigen“ aus. Als Folge beider noch unaufgeklärter Düsseldorfer Anschläge und des Schröder-Aufrufs initiiert die rot-grüne Bundesregierung das erste NPD-Verbotsverfahren, darüber hinaus ein millionenschweres Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus. Zwei Monate nach dem Brandsatzwurf werden die Täter festgenommen: Es handelt sich um einen Marokkaner und einen Palästinenser.


Sebnitz, 23. November 2000: „Neonazis ertränken Kind“, titelt die Bild-Zeitung. Rund 50 Neonazis sollen am 13. Juni 1997 den Sohn eines deutsch-irakischen Ehepaares im Schwimmbad vor 300 Badegästen gefoltert und dann ertränkt haben. Vor dem Bild-Bericht hatte es Festnahmen gegeben. Alle Medien ziehen in der Berichterstattung nach. Der Bundeskanzler empfängt die Familie. Die Mutter sagt in einer TV-Show, in Sebnitz würden „Arier“ gezüchtet. Nach zehn Tagen stellen sich erste Zeugenaussagen als falsch heraus. Die Presse gibt nun den Ermittlern die Schuld an ihrer eigenen falschen Berichterstattung. Als einzige Zeitung entschuldigt sich die Bild bei seinen Lesern und den Sebnitzern.

Der sechs Jahre alte Joseph K.-A. war am 13. Juni 1997 im Schwimmbad umgekommen. Todesursache: plötzliches Herzversagen. Die Mutter glaubt nicht an einen natürlichen Tod ihres Kindes. Sie sammelt eidesstattliche Versicherungen unter anderem von Alkoholikern, um zu beweisen, daß ihr Kind ermordet worden sei. Jahre später wendet sie sich an die Bild.


Bautzen, 2016: Im Februar brennt ein geplantes Asylbewerberheim. Brand­ursache ist Brandstiftung, die Täter flüchten. Im März behauptet ein 16jähriger Flüchtling, von vier Unbekannten überfallen worden zu sein. Der Staatsschutz ermittelt. Das Neue Deutschland schreibt von „Kaltland“.

Dann kommt heraus: Der Vorwurf des minderjährigen Flüchtlings ist erlogen. Am Kornmarkt kommt es trotzdem wochenlang zu Krawallen. Zum Beispiel liefern sich am 14. September 2016 Asylbewerber und Deutsche eine Massenschlägerei. Die Flüchtlinge schlagen auf die Polizei mit Holzlatten ein. Die wehrt sich mit Schlagstöcken, die Einwanderer fliehen. Für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge werden eine abendliche Ausgangssperre und ein Alkoholverbot verhängt. Der sächsische CDU-Landtagsabgeordnete Sebastian Fischer beschreibt die Täter als „Rechtsradikale und Krawallmacher aus dem linken Spektrum, jugendliche Asylbewerber“. Darüber hinaus kritisiert er die Berichterstattung: Ein rechter Mob marschiere, der Rassismus triumphiere, die Union sei schuld, jeder Ausländer sei ein Waisenknabe und die Polizei rassistisch, schreibt er am 21. September 2016 in einem Kommentar für die JUNGE FREIHEIT.

Am 1. November, so berichtet Zeit Online, hätten „etwa 40 bis 50 Rechtsextreme am Holzmarkt der ostsächsischen Stadt zwei Flüchtlinge vor sich hergejagt“. Die Polizei hätte zunächst nicht eingegriffen. Ein Zeit-Reporter sei zufällig Zeuge des Vorfalls gewesen. Die Polizei widerspricht dieser Darstellung. Es seien zehn bis 15 Personen gewesen. Eine Hetzjagd habe nicht stattgefunden. Die Gruppen hätten sich zerstreut, als die Polizei eintraf.

Zuvor sei ein 19jähriger Bautzener von einem Libyer (20) angegriffen worden. Später werden dem Migranten Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, gefährliche Körperverletzung, Diebstahl, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Bedrohung zur Last gelegt. Die Stadt Bautzen wird in Absprache mit der Polizei im August 2017 ein dreimonatiges Aufenthaltsverbot für das gesamte Stadtgebiet gegen den Libyer verhängen.