© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/18 / 07. September 2018

Besetzung gegen das Völkerrecht
Warum die USA 1941 nach Grönland vordrangen und dort jahrzehntelang Militärstützpunkte unterhielten
Jürgen W. Schmidt

Grönland gehörte seit dem Mittelalter zum Königreich Dänemark und dies bestritt niemand außer Norwegen, welches Fischer und Robbenfänger bis ins 20. Jahrhundert hinein ermunterte, in Ostgrönland Sonderrechte bei Jagd und Fischfang wahrzunehmen. 

Auch Großbritannien meldete sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder auf diplomatischem Wege in Dänemark, wenn Gerüchte hochwaberten, Grönland stehe eventuell zum Verkauf an. Immerhin hatte 1916 während des Ersten Weltkriegs Dänemark seine westindischen Besitzungen Saint Thomas, Saint John und Saint Croix (heute Amerikanische Jungferninseln) an die USA verkauft. 

Als im Rahmen der Aktion „Weserübung“ im April 1940 die Wehrmacht Dänemark und Norwegen besetzte, deuteten sich sogleich gravierende Veränderungen für den Status von Grönland an. Obwohl die USA vorher niemals ernsthafte Prätentionen bezüglich Grönlands geäußert hatten, geriet diese große Insel im nördlichen Atlantik plötzlich ins Blickfeld US-amerikanischer Politik. Daran waren zu großen Teilen die Briten schuld, welche aus eigennützigen Gründen die USA und deren sensationsgierige Presse mit völlig aus den Fingern gesogenen Meldungen fluteten, welche die angeblich unmittelbar bevorstehende deutsche Besetzung Grönlands zum Inhalt hatten. 

US-dänisches Abkommen war gar nicht autorisiert

Demgemäß würden die verschwiegenen Buchten Grönlands bereits von deutschen U-Booten als Versorgungsbasen genutzt, und deutsche Flugzeuge wollte man schon häufig auf und über Grönland gesichtet haben. Hinzu kamen knallharte wirtschaftliche Interessen der US-amerikanischen und kanadischen Aluminiumindustrie, welche dieses wichtige Metall für den Flugzeugbau erzeugten. Das dafür als Flußmittel nötige Mineral Kryolith gab es nämlich nur auf Grönland und man war auf grönländische Importe dringend angewiesen, während die deutsche Aluminiumindustrie auf einheimische Ersatzstoffe zurückgreifen konnte. 

Kanada machte folglich den ersten Schritt und begann in eigener Regie, Polizisten nach Grönland zu entsenden, welche den Kryolithabbau im Interesse Kanadas absichern sollten. Präsident Franklin D. Roosevelt, der innerlich wahrscheinlich nie so richtig an eine deutsche Eroberung Grönlands glauben mochte, griff das Stöckchen auf, welches ihm die Kanadier mit der begonnenen Sicherung des Kryolith-Abbaus hinhielten, und forcierte sofort US-amerikanische Anstrengungen, Grönland zu besetzen. 

Roosevelt kam dabei entgegen, daß der dänische Gesandte in den USA Henrik Kauffmann nach der deutschen Besetzung Dänemarks seine Aufgaben weiter erfüllte und sich innerlich als Haupt einer neuen dänischen Exilregierung fühlte. Folglich schloß Kauffmann mit dem amerikanischen Außenminister Cordell Hull am 9. April 1941 auf eigene Faust das sogenannte „Hull-Kauffmann-Abkommen“, welches mangels amtlicher Autorisierung Kauffmanns zum Abschluß eines solchen Abkommens eigentlich ab dem Moment der Unterzeichnung völkerrechtlich ungültig war. 

Gemäß dieses Abkommens übernahmen die vorerst noch neutralen USA den „Schutz“ Grönlands und zugleich dessen „treuhänderische Verwaltung“ bis Kriegsende. Das Abkommen garantierte den USA die künftige ungehinderte Kryolithgewinnung in Grönland und die Errichtung wichtiger Wetterstationen auf der Insel. Auf alliiertes Drängen hatten die Dänen nämlich ab Juli 1940 ihre offen gesendeten, für die Wetterprognosen im Atlantik und Europa notwendigen Wettermeldungen aus Grönland eingestellt. 

Das behinderte Deutschland massiv, während die neutralen USA natürlich nichts dagegen hatten, dem kriegführenden England die Gewinnung von Wetterdaten im Nordpolarraum zu ermöglichen. Außerdem gestattete die nunmehrige US-Position in Grönland den blitzschnell begonnenen Bau einer zweistelligen Zahl von Flugfeldern. Auf der Flugroute Neufundland-Grönland-Island-Schottland wurden alsdann von 1941 bis 1945 mehr als 35.000 Militärflugzeuge von den USA nach Europa und nach Kriegsende wieder zurückgeflogen. 

Wenn Deutschland überhaupt Interesse an Grönland hatte, dann höchstens an der Errichtung von Wetterstationen. Sieben Versuche zur Errichtung derartiger deutscher Stationen an der Ostküste Grönlands scheiterten während des Zweiten Weltkriegs. Nur die Wetterstationen „Holzauge“ (28. August 1942 bis 17. Juni 1943) und „Baßgeiger“ (13. September 1943 bis 3. Juni 1944) konnten über längere Zeit die von der deutschen Luftwaffe und Kriegsmarine dringend benötigten Wetterinformationen funken. 

Aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg, als der „Kalte Krieg“ ausbrach, behielt Grönland militärstrategische Bedeutung für die USA. Hier wurden, vor allem auf dem Flugstützpunkt Thule im äußersten Nordwesten der Insel, strategische Atombomber stationiert, denn die Route über den Pol war ein relativ unkomplizierter Flugweg, um die Sowjetunion anzugreifen. Der emeritierte Konstanzer Historiker Lothar Burchardt hat mit seiner gründlichen Studie belegt, wie die USA auch damals ein künstlich geschaffenes Bedrohungsszenario vorangehen ließen, um sich territorial auszudehnen und dabei das Völkerrecht mißachteten.

Lothar Burchardt: Amerikas langer Atem. Kontroversen um die Nutzung von Grönland im Zweiten Weltkrieg. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2017, gebunden, 412 Seiten, Abbildungen, 61,95 Euro