© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/18 / 07. September 2018

Mediale Hetze statt Aufklärung
In der Berichterstattung über die Ereignisse in Chemnitz zeigt sich die deutsche Presse tendenziös
Michael Paulwitz / Gil Barkei

Chemnitz: der Name der sächsischen Stadt wird zur Chiffre. Aus dem Versuch, dem Bürgerprotest angesichts des Messermordes an einem 35jährigen Chemnitzer den Stempel des Rechtsextremismus aufzudrücken, ist ein Sinnbild umfassenden Medienversagens geworden.

Die Attacke auf den Handwerker und Familienvater Daniel H. war kein „Einzelfall“, sondern eines von vielen Kapitalverbrechen, die von illegal eingereisten Asylbewerbern begangen wurden. Solche „regionalen Ereignisse“ – wie auch den Mord an der Freiburger Studentin Maria oder zuletzt an einem Arzt im badischen Offenburg – hat die „Tagesschau“ zuerst gar nicht thematisiert, während ihr der Angriff auf einen Asylbewerber in Wismar vergangene Woche sehr wohl eine Meldung wert war.

Das Verbrechen in der Chemnitzer Innenstadt wurde von den etablierten Medien erst (am Rand) aufgegriffen als Bürger spontan auf die Straße gingen und gegen Ausländergewalt protestierten. Daß sich unter die rund 800 Demonstranten auch etwa 50 gewaltbereite Personen aus der rechtsradikalen und Hooligan-Szene gemischt haben, lieferte den Vorwand, mit verschobener Perspektive nun doch zu berichten: Nicht der Mord und sich häufende Stichwaffen-Angriffe, sondern „Hitlergruß“-Vorfälle und „Übergriffe auf Migranten“ standen nun im Zentrum. 

Andere Darstellungen nicht berücksichtigt

Die Darstellung dabei, es sei zu „Hetzjagden“ gekommen, wurde ursprünglich von „antifaschistischen Aktivisten“ in sozialen Medien aufgebracht und schließlich auch von der Presseagentur dpa weiterverbreitet – zunächst noch mit Vorbehalten, da die Polizei diese Darstellung nicht bestätigte. Es war wohl ein linksradikaler, freier Journalist aus dem Umfeld des Zeit-Antifa-Blogs „Störungsmelder“, der die Behauptung aufstellte. Als Beleg sollte ein auf dem Twitter-Profil „Antifa Zeckenbiß“ verbreiteter Videoschnipsel fraglicher Herkunft, Zeit und Datierung dienen, der zwar eine Konfrontation von nicht genau erkennbaren Einzelpersonen zeigt, aber kaum eine Menschenhatz.

Doch genau diese Lesart machte sich die Bundesregierung hochoffiziell zu eigen, als Regierungssprecher Steffen Seibert tags darauf „Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens und anderer Herkunft“ scharf verurteilte. Daß ohne zu überprüfen, alle überregionalen Medien die „Hetzjagd“-Geschichte übernahmen, erinnert an den Fall Sebnitz vor zwanzig Jahren – die erfundene Ertränkung eines kleinen Jungen durch Neonazis. 

Ungehört verhallte die Stimme des Chefredakteurs der Chemnitzer Freien Presse, keineswegs eine konservative Zeitung, aber eine, deren Redakteure im Gegensatz zu den bundesweit erscheinenden Medien die Spontankundgebung am letzten Augustsonntag selbst begleiteten. Weder sie noch die Polizei hatten Jagdszenen gesehen. 

Das bestätigte auch der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen Wolfgang Klein auf Nachfrage des „Publico“-Blogs von Focus-Redakteur Alexander Wendt: „Nach allem uns vorliegenden Material hat es in Chemnitz keine Hetzjagd gegeben.“ 

Doch das Schreckensbild lud zur Fortdrehe noch weitergehender Narrative ein. ARD-„Monitor“-Chef Georg Restle sprach gar von einem „völkisch-nationalistischen Fanal“, von einer „totalitären Umsturzphantasie“ der „Rechten“. Der Spiegel titelte mit einem schwarz unterlegten „Sachsen“-Schriftzug, der bei den letzten drei Buchstaben in Braun und Fraktur übergeht und fügte hinzu: „Wenn Rechte nach der Macht greifen“. Der Stern zog abenteuerliche Parallelen zwischen „Chemnitz 2018“ und „Rostock-Lichtenhagen 1992“ – jenen Vorfällen also, die seinerzeit Anstoß zur ersten „Kampf gegen Rechts“-Welle gaben. 

„Herrenreiterfernsehen“ nannte Weltwoche-Chefredakteur Roger Köppel Talkshows wie jene von Anne Will, einen Tag nach dem Trauermarsch, in der Politiker der Regierungsparteien und linke Experten und Wortführer unter sich blieben, ohne einen ausgleichenden Gegenpart beispielsweise von der AfD, Pegida oder Pro Chemnitz.

Auf weiter Flur fast alleine stand das Frauenmagazin Emma, das es wagte, eine Reporterin nach Chemnitz zu schicken, um Bürgerinnen vor Ort zu ihren Eindrücken, Erfahrungen und Ängsten zu befragen. Da es dabei auch kritische Einschätzungen des Zusammenlebens mit in die Stadt gekommenen Flüchtlingen in den Text schafften, verhalf dem Blatt zu einer kleinen Welle von Rassismus-Vorwürfen auf Twitter. Geteilt auch von Journalisten angeblich konservativer Zeitungen, wie Patrick Bahners von der FAZ. Dieser zwitscherte zudem: „Wir sind zu wenig radikal. Sawsan Chebli hat recht, und daß ihr aus der FDP widersprochen wird, zeigt nur, wie recht sie hat. Wir Republikaner müssen endlich radikal werden, so radikal, wie es zum Begriff des Republikanismus gehört. Schluß mit Defätismus und Appeasement.“

Der Tenor der Berichterstattung über den von der AfD am vergangenen Samstag veranstalteten „Trauermarsch“ in Chemnitz für die Opfer von Migrantengewalt war damit vorgegeben: Skandalisiert wurde ein vermeintlicher „Schulterschluß“ mit „Neonazis“. Von dem schikanösen Charakter der Verzögerungen der Demonstration kein Wort.

Einen Tiefpunkt erreichten die „Tagesthemen“, als sie in der Sendung am 1. September veraltete Aufnahmen verwendeten. In einem Beitrag über den AfD-Trauermarsch wurde ein kurzer Ausschnitt eines Demonstrationszuges gezeigt, aus dem heraus Teilnehmer skandierten: „Wir sind die Fans! Adolf Hitler Hooligans!“ Die „Tagesthemen“ erweckten so den Eindruck, es habe sich dabei um Demonstranten von AfD und Pegida gehandelt.

Ältere Aufnahmen ohne Kennzeichnung 

Tatsächlich stammte der Ausschnitt jedoch von der Spontandemo am Montag zuvor, für die weder AfD noch Pegida verantwortlich waren. Vielmehr handelte es sich um gewaltbereite Fußball-anhänger. 

Auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT erklärte eine Sprecherin des NDR, daß bei der Recherche nach Bildern in sozialen Medien auch Videos von der Kundgebung am Montag vergangener Woche aufgetaucht seien. Moderatorin Caren Miosga entschuldigte sich einen Abend später für die „irrtümliche“ Verwendung der älteren Bilder „ohne dies kenntlich“ gemacht zu haben. Sie verschwieg allerdings, um welche Szene es sich genau handelte.

Um von eigenen Glaubwürdigkeitsproblemen abzulenken, wartete eine Reihe von Medien im Zusammenhang mit dem Trauermarsch mit Berichten über Angriffe auf Journalisten auf. Ein Spiegel-Reporter prahlte, es sei schlimmer als in Bürgerkriegsgebieten gewesen. Ein MDR-Team beklagte, es sei aus einer Privatwohnung geworfen worden, zu der es sich allerdings fragwürdig über die Ansprache eines Minderjährigen Zutritt verschafft hatte. Polizeilich dokumentierte Angriffe auf die „rechte“ Spontandemo sowie auf Schweigemarsch-Teilnehmer wurden dagegen kaum aufgegriffen

Das „Wir sind mehr“-Konzert, unter anderem mit der linksextremen Gruppe Feine Sahne Fischfilet, zeigten Tagesschau, Spiegel, Welt, ZDF heute, 3sat Kulturzeit, Stern und Arte wiederum per Facebook-Livestream – Antifa-Parolen wie „No Border, No Nation!“ und eingeblendete Plakate mit der Aufschrift „Kein Deutsch, kein Land, lieber RocknRoll“ inklusive. „Junge Demokratietouristen“ seien zuhauf nach Chemnitz gekommen, schwärmte das ARD-„Morgenmagazin“. Tatsächlich ist der Graben zwischen vielen Bürgern und Presse noch tiefer geworden.