© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/18 / 07. September 2018

Schoßhündchen und Stiefelknechte
Landtagswahlkampf: Beim Gillamoos stemmt sich Markus Söder gegen den Verlust der absoluten Mehrheit
Hinrich Rohbohm

Bier, Brezeln, Brathendl. Dazu steigende Temperaturen in den Festzelten, garniert mit deftigen Reden, die auch die Gemüter erhitzen lassen. Das ist Gillamoos, einer der ältesten Jahrmärkte Bayerns, der jedes Jahr Anfang September in dem beschaulichen Ort Abensberg stattfindet. Schon 1313 erstmals urkundlich erwähnt, sorgt die Traditionsveranstaltung vor allem aufgrund ihrer politischen Redekultur immer wieder bundesweit für Aufsehen. Dann, wenn die Parteien am Montag ihre politischen Frühschoppen abhalten. Zwischen Karussells und Würstchenbuden schlängelt sich dann Deutschlands Polit-Prominenz vorbei an Kindern, die gebrannte Mandeln verzehren, Losverkäufern und Menschen in bayerischer Tracht, hinein in die vollbesetzten Zelte, in denen sie mit Witz und markigen Sprüchen versuchen, beim Wähler zu punkten.

Bei der CSU kommt dieses Mal der Landesvater persönlich. In sechs Wochen wird in Bayern gewählt. Da ist Gillamoos, die sommerliche Variante des politischen Aschermittwochs, ein Pflichttermin. Schon eine Stunde vor Erscheinen des Ministerpräsidenten sind die meisten Bänke mit Zuhörern besetzt. Parteimitglieder in den vorderen Reihen. Weiter hinten Sympathisanten und kritische Interessierte. Dralle Kellnerinnen im Dirndl bahnen sich auf resolut-robuste Weise ihren Weg durch die Menge, stemmen ein halbes Dutzend Maß Bier vor sich her. 

Der bayerische Defiliermarsch erklingt. Einzug des Ministerpräsidenten. Knapp 4.000 Menschen applaudieren. Markus Söder geht auf das Podium, prostet gemeinsam mit CSU-Generalsekretär Markus Blume und dem aus der Region stammenden EVP-Fraktionschef Manfred Weber dem Publikum zu. Dann wird Marius Müller-Westernhagens Lied „Freiheit“ gespielt.

Für den Kehlheimer Landrat Martin Neumeyer ist es das Stichwort. „Es gibt viele Friedensforscher, aber Freiheitsforscher gibt es leider nicht“, setzt er eine erste Spitze in Richtung Grüne. „Gott weiß alles, aber die Grünen wissen alles besser“, legt er nach.

Auch Markus Söder spielt auf Westernhagen an. „Ich bin wieder hier, in meinem Revier“, ruft er den Gästen entgegen und legt schon mal die Krawatte ab. Es folgen Lobeshymnen auf Bayern. „Das Leistungsherz Deutschlands ist im Süden“, betont er. Schließlich finanziere Bayern über den Länderfinanzausgleich die halbe Bundesrepublik. Söder schießt sich auf die AfD ein. Diese habe eine „geheime Agenda“, marschiere zudem „Seit’ an Seit’ mit NPD und Hooligans“, kritisiert er mit Verweis auf die Demonstrationen von Chemnitz. 

Die AfD hat ihr Lager außerhalb des Festplatzes im Schloßgarten von Abensberg aufgeschlagen. Abgeschirmt von einer Steinmauer mit Eisengittern in den Fenstern. Ohne Zelt, unter freiem Himmel. Entsprechend gedämpfter ist die Atmosphäre. Geschätzt 250 Anhänger sind erschienen. Dafür jedoch eine hohe Anzahl an Medienvertretern. Als Hauptredner ist AfD-Bundeschef Jörg Meuthen angekündigt. Zuvor spricht die lokale AfD-Prominenz, schüttet gleich erst mal eine Prise Hohn und Spott über der CSU aus. „Die CSU hat mehr Angst als Vaterlandsliebe“, heißt es da. Wie ein „Schoßhündchen“ laufe die Partei Angela Merkel hinterher. Den Bundesinnenminister nennen sie hier nur noch „Heißluft-Horst“, weil außer markigen Ankündigungen nichts Handfestes an Regelungen herausgekommen sei, um die Migrationskrise einzudämmen. 

Die Bayernpartei erlebt    eine kleine Renaissance

Die Ereignisse von Chemnitz sind auch bei der AfD zentrales Thema. „Da wird ein ganzes Bundesland pauschal verurteilt“, schimpft Meuthen gleich zu Beginn seiner Rede. Davon, daß die AfD bei den Menschen Ängste schüre, könne keine Rede sein. „Nein, diese Ängste schüren wir nicht, die Leute haben diese Ängste und wir greifen sie auf, weil dies Aufgabe der Politik ist.“ Rassistische Hetze, wie sie in Chemnitz auch vorgekommen war, sei dagegen „komplett abzulehnen“. „Ich bin mir nicht sicher, wie viele davon eingeschleuste Provokateure sind“, mutmaßt Meuthen. 

Auch die Bayernpartei trifft sich außerhalb des Festplatzes. Sie hat in den Brauereigasthof „Zum Kuchlbauer“ geladen. Die Regionalpartei war nach ihrem Ausscheiden aus dem bayerischen Landtag 1966 in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Inzwischen erlebt sie jedoch eine kleine Renaissance. Bei der Landtagswahl 2013 konnte sie ihre Stimmzahl verdoppeln, erhielt 2,1 Prozent. Ihr bestes Ergebnis seit 1966 brachte ihr den Einzug in vier Bezirks­parlamente. 

„Die CSU hat heute keine Ideen mehr“, sagt deren Generalsekretär Hubert Dorn vor den knapp 100 Gästen, von denen nicht wenige in bayerischer Tracht gekommen sind. „Söder springt von Bierzelt zu Bierzelt, und mit jeder Rede werden seine Umfragewerte schlechter.“ Auch verfüge die CSU inzwischen über „kein qualifiziertes Personal“ mehr, und es mangele ihr an Durchsetzungskraft. „Wenn die zwölf Apostel mit dieser Wirkung gepredigt hätten, dann säße der Papst heute allein im Stall von Bethlehem“, spottet Dorn.

Auch die Grünen bemühen das Christentum für verbale Angriffe auf die CSU herbei. Deren Billigung von Waffenexporten sei mit dem „C“ im Namen nicht vereinbar, erklärt ein durch die entstandene Hitze im Weinzelt der Grünen klitschnaß geschwitzter Çem Özdemir seinen Anhängern. Und versucht ähnlich wie die CDU auch die CSU hin zu grün-alternativer Ideologie zu erziehen. Sein Ratschlag an Söder und Co.: „Hört auf euren Entwicklungsminister Gerd Müller. Macht nicht immer nur das ganze Rechtskonservative. Es gab in der CSU auch mal das Liberale.“ 

Ähnlich sehen auch die Angriffe der inzwischen in Umfragen im Freistaat auf 13 Prozent abgesackten SPD aus. Die CSU habe Sprache und Positionen der Rechten übernommen, echauffiert sich deren Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles. „Was wie eine Ente quakt, wie eine Ente watschelt und wie eine Ente aussieht, ist auch eine Ente“, spottet die Genossin. Kritik an der CSU kommt zwar auch von den Freien Wählern. Jedoch scheint man sich dort gedanklich schon darauf einzustellen, erster möglicher Ansprechpartner für eine Koalition mit den Christsozialen zu sein. Immer wieder hallen Hubert-Rufe durch den Weißbierstadl, in dem die Freien Wähler traditionsgemäß beim Gillamoos zusammenkommen. Gemeint ist deren Bundesvorsitzender Hubert Aiwanger, der mit seiner Wählergemeinschaft 2008 erstmals in das Maximilianeum eingezogen war. „Ich lege keinen Wert darauf, Stiefelknecht der CSU zu sein. Wenn, dann geben wir ihnen die Sporen“, gibt sich der 47 Jahre alte Niederbayer kämpferisch. 

Keiner glaubt mehr an      die absolute Mehrheit

Unterdessen bleiben die Anhänger im CSU-Zelt trotz schlechter Umfragewerte optimistisch. „Wer glaubt denn den Demoskopen?“ fragt Martin Neumeyer teils trotzig, teils angriffslustig ins Zelt hinein. „Brexit haben sie nicht vorhergesagt, Trump haben sie nicht vorhergesagt“, ruft er. Einige CSUler schmunzeln. „Von mir aus können sie sich gerne wieder irren“, sagt einer von ihnen. An eine absolute Mehrheit für ihre Partei glauben allerdings auch sie nicht mehr. „Die wurde im Sommer hergeschenkt. Da hätte man stark bleiben müssen. Faule Kompromisse und Scheinlösungen als Erfolg zu verkaufen wird nicht funktionieren“, fürchtet sein Gegenüber. 

Fast scheint es, als habe der gerade redende Landrat Neumeyer die Bedenken gehört. „Die großen Organisationen verlieren an Glaubwürdigkeit, weil sie nur an sich selbst denken“, mahnt er.  Auch die CSU ist in Bayern eine große Organisation. Die Worte des mit viel Leidenschaft redenden Landrates klingen wie Kritik und Appell an die eigene Partei zugleich.