© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/18 / 07. September 2018

Ländersache: Berlin
Am Schreibtisch drangsaliert
Christian Schreiber

Es klingt martialisch und ist auch so gemeint. „Freiheit für Nero und Isa! Freiheit für alle. Gegen alle Knäste“, heißt es in einer Erklärung von Berliner Linksextremisten. „Nero“ ist ein Mitglied der Autonomen Szene in der Hauptstadt und sitzt in der Haftanstalt Tegel ein. Er war im Oktober 2017 verurteilt worden, weil er einen Polizeihubschrauber geblendet hatte. Bei „Isa“ handelt es sich nach Informationen des Tagesspiegels um den 41 Jahre alten Polen Marek M. Ihm wird seit Anfang Juli vor dem Kriminalgericht unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen der Prozeß gemacht. M., der Türsteher für die Autonomenkneipe „Kadterschmiede“ sein soll, wird gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Bei seiner Festnahme Ende März sei die Polizei aus Sorge vor Krawallen mit mehr als 300 Beamten angerückt, berichtet die Lokalzeitung. Bei den Linksextremisten handelt es sich Behördenangaben zufolge um Leute aus dem Umfeld der Rigaer Straße 94 (JF 18/18).

Doch ihre Unterstützer belassen es nicht bei öffentlichen Aufrufen. Am Dienstag vergangener Woche sind nach Behördenmitteilung mindestens zehn zum Teil minderjährige Personen in das Gebäude der Senatsverwaltung für Justiz eingedrungen und haben Flugblätter verteilt. Auf einer linksextremen Internetseite wurde der Referatsleiter namentlich genannt. Offiziell distanzieren sich die Autonomen in ihrem Bekennerbericht von Gewalt. „Ziel dieser Behördenbegehung ist es, den oder die Verantwortlichen für die Situation in der JVA Tegel zu identifizieren. Das nicht etwa in der Absicht einer Bedrohung und auch nicht um eine Forderung oder Petition zu übergeben, womit diese Institution als Verhandlungspartner anerkannt würde, sondern um das Gesicht zu den in der JVA Tegel herrschenden Zuständen kennenzulernen“, heißt es dort. Doch wer zwischen den Zeilen liest, erkennt ein deutliches Bedrohungsszenario für den Referatsleiter: „Ihm teilen wir mit, daß wir für den Fall weiterer Druckausübung auf Nero gerne auf ihn zurückkommen werden, um ihn eindringlicher an seine Schreibtischtäterschaft zu erinnern“, heißt es dort. 

Der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber sagte dem Tagesspiegel, das Vorgehen der Linksextremen erinnere an RAF-Zeiten und sei „Terrorismus“. Wie das Blatt berichtet, sei dies auch nicht der erste Fall von Aktionen im Zusammenhang mit dem Prozeß gegen „Isa“. So sei das Auto einer JVA-Bediensteten in Brand gesetzt sowie ein SPD-Büro mit Steinen attackiert worden. Auch Anwohner, die Zeugen der Gewaltattacke von Marek M. im März wurden und die Polizei riefen, seien auf Plakaten als „Denunzianten“ bezeichnet, als Polizeispitzel beschimpft und „mit Dauerklingeln an der Tür und Drohbriefen drangsaliert“ worden. SPD-Mann Schreiber forderte, der Vorfall müsse in der Koalition thematisiert werden. Schließlich werde die Justizverwaltung vom grünen Senator Dirk Behrendt geführt. Teile der Grünen hätten aber wiederholt Verständnis für die Rigaer Straße geäußert. „Wie weit soll dieses Verständnis noch gehen?“, fragte Schreiber gegenüber der Berliner Morgenpost. In einer Statistik, die der Zeitung vorliegt, zählt die Innenverwaltung für die Rigaer und die Liebigstraße seit 2010 insgesamt 288 Gewaltdelikte auf, die der linksradikalen Szene zugeordnet werden. Geschehen ist seitdem wenig.