© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/18 / 07. September 2018

Kai aus der Kiste kandidiert kontra Kauder
Ungewöhnlich in der Union: Ralph Brinkhaus hat Interesse für den Vorsitz der Bundestagsfraktion angemeldet
Paul Rosen

Generationswechsel, Zeitenwende oder nur ein „Aufständchen“, wie Spiegel Online über eine beinahe unerhört wirkende Nachricht aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion spottete. Im Reich von CDU-Chefin Angela Merkel zeigen sich möglicherweise Risse. Und vielleicht sind sie tiefer als zunächst sichtbar. Der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder (69), einer der treuesten Diener der Kanzlerin, sieht sich unerwartet einem Kontrahenten gegenüber: Ralph Brinkhaus (50), einer von Kauders Stellvertretern, will bei den in diesem September anstehenden Wahlen zum Fraktionsvorstand gegen den seit 2005 amtierenden Kauder antreten. 

Merkels Linksdrift bedenkenlos gefolgt

Warum es jetzt zu einer Wahl bei der CDU/CSU-Fraktion kommt, gehört zu den Besonderheiten der Unionsfraktion, die sich in diesem Punkt von allen anderen unterscheidet. Ihr Vorsitzender und der Vorstand werden nach der Konstituierung nach einer Bundestagswahl zunächst nur für ein Jahr gewählt. Danach erfolgt eine weitere Wahl, deren Ergebnisse bis zum Ende der Legislaturperiode gelten. Ausnahmen sind der CSU-Landesgruppenvorsitzende als erster stellvertretender Fraktionsvorsitzender und der CSU-Geschäftsführer, die für vier Jahre gewählt werden. 

Seit dem Herbst 2005, als Merkel vom Fraktionsvorsitz ins Kanzleramt wechselte und Kauder das Amt übernahm, hatte die satzungsgemäß vorgesehene Zwischenwahl ein Jahr nach der Konstituierung nie eine Rolle für das Spitzenamt gespielt. Merkel und der jeweilige CSU-Chef schlugen Kauder vor. Der wurde ohne Gegenkandidat gewählt, und das war’s für die nächsten Jahre. 

Mit 13 Jahren im Amt ist Kauder der mit Abstand am längsten amtierende Fraktionsvorsitzende der Union. Seine Amtszeit stellt auch die langjähriger Vorsitzender wie Wolfgang Schäuble, Alfred Dregger, Helmut Kohl und Rainer Barzel in den Schatten. Sympathien hatte der persönlich als konservativ geltende, aber jeder Linksdrift seiner Kanzlerin bedenkenlos folgende Kauder in frühen Jahren viele. Später wurde daraus ein überwiegender Respekt, und in den letzten Jahren zeigten sich viele Abgeordnete von dem als herrisch geltenden Chef genervt, so daß der baden-württembergische Politiker vor einem Jahr mit 77 Prozent wiedergewählt wurde – was ohne Gegenkandidat ein schwaches Ergebnis war. Kauder wird vorgeworfen, besonders in der Asyl- und Europapolitik der Kanzlerin nie in die Parade gefahren zu sein, wo es notwendig gewesen wäre, um die Mitwirkungsrechte des Bundestags zu sichern. Andererseits ist es auch und gerade Kauder zu verdanken, daß der Streit der Schwesterparteien CDU und CSU um die Asyl- und Flüchtlingspolitik nicht noch tiefere Wunden gerissen hat. 

Und jetzt Brinkhaus? Der 50jährige Familienvater hat einen ordentlichen Ausbildungs- und Berufsweg hinter sich: Abitur, Wehrdienst bei den Panzerjägern, Studium der Wirtschaftswissenschaft. Nach diversen Tätigkeiten in Unternehmen machte sich Brinkhaus 2004 in seiner Heimat Gütersloh als Steuerberater selbständig. In die CDU trat er 1998 ein, übernahm kommunale Funktionen und wurde 2009 erstmals in den Bundestag gewählt – und seitdem mit überdurchschnittlichen Ergebnissen. Im Parlament führte ihn der Weg direkt in den für Steuern zuständigen Finanzausschuß, wo er sich als Fachpolitiker einen guten Namen machte, so daß Brinkhaus 2014 auch stellvertretender Fraktionsvorsitzender wurde. 2017 wurde er mit 99 Prozent bestätigt. Dabei achtete der persönlich genauso konservativ wie Kauder eingestellte Brinkhaus eifrig darauf, bloß keine Kritik an seiner Kanzlerin zu üben. Unterstützung für seine Kandidatur erhält er unterdessen von einem prominenten parteiinternen Kritiker der Kanzlerin: „Wettbewerb belebt auch in Parteien das Geschäft! Wenn wir wieder stärker als die Partei Ludwig Erhards wahrgenommen werden wollen, ist Ralph Brinkhaus als Ökonom eine ausgezeichnete Wahl“, sagte sein Fraktionskollege Klaus-Peter Willsch der JUNGEN FREIHEIT.

Merkel will zumindest offiziell nichts von einem Generationswechsel an der Spitze der Fraktion wissen. Kauder selbst erklärte seinen Willen, „in der gesamten Wahlperiode Fraktionsvorsitzender bleiben zu wollen“. Auch CSU-Chef Horst Seehofer ist für Kauder, ebenso der nordrhein-westfälische CDU-Chef Armin Laschet, der vom möglichen Aufstieg von Brinkhaus offenbar wenig begeistert ist: Denn neben den Bundesministern Jens Spahn und Anja Karliczek wäre mit Brinkhaus der dritte Westfale in einer Schlüsselposition, während die Rheinländer sich schon lange personell unterrepräsentiert fühlen. 

Brinkhaus hat sein „Interesse angemeldet“ – mehr nicht. Das heißt nicht, daß er jetzt kandidieren muß. Tritt er an, kann er auf jeden Fall mit einem akzeptablen Ergebnis rechnen. Tritt er nicht an, würde er in die Rolle des Kronprinzen schlüpfen. Die Zeit arbeitet auf jeden Fall für ihn und gegen Kauder.