© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/18 / 31. August 2018

Der Flaneur
Rentner Rebellion
Bernd Rademacher

Das „Rebellion“-Musikfestival im nordenglischen Blackpool zieht jährlich ein großes Publikum älterer Semester an. Der Altersdurchschnitt liegt bei fünfzig plus, wenige Besucher sind jünger, viele deutlich älter. Dementsprechend ist die Infrastruktur ausgelegt: Hier wird nicht gezeltet und sich von Dosenbier und Ravioli-Konserven ernährt. 

Die Musikfans reisen im komfortablen Wohnmobil an oder übernachten in preiswerten Hotels und Pensionen in der Umgebung. Viele Besucher kommen schon seit Jahren jeden Sommer. Man schätzt sanitäre Einrichtungen statt Dixi-Toiletten. Gästen, die auf Rollator oder Gehstock angewiesen sind, wird freundlich geholfen. Hier ist das größte Punkkonzert Europas – das „Rebellion-Festival“.

Der Irokesenschnitt hält dank einer Extra-Dosis Haarspray trotz  schütterer Haare.

Die Senioren tragen abgeschabte Motorrad-Lederjacken mit verrosteten Nieten und vergilbten Buttons. Der Irokesenschnitt hält trotz schütterer Haare, es wird halt mehr Haarspray draufgeknallt. Die reifen Damen tragen wildes Augen-Makeup, die gesetzten Herren Sicherheitsnadeln in den im Alter größer gewordenen Ohren. Über dem Bierbauch spannt das verwaschene „Sex Pistols“-T-Shirt. Schon auf der Hinreise schieben sie Musikkonserven der „Ramones“ oder „Clash“ in den CD-Wechsler des Volvo-Kombi oder Minivan. 

Auf der Bühne spielen die Helden von 1977: „Slaughter and the Dogs“ oder die pensionierten Skinhead-Hooligans von den „Cockney Rejects“, denen schon nach einer halben Stunde sichtbar die Puste ausgeht. Die Ordner langweilen sich, man ist höflich und friedlich. 

Auf dem Parkplatz stehen Mittelklasse-Fahrzeuge aus Großbritannien, Deutschland, Norwegen, Frankreich und den Niederlanden. Die Gespräche drehen sich um Zahnzusatzversicherungen und alte Zeiten: „Wißt ihr noch, wie Ratte und Pogo damals an den Bullenwagen gepinkelt haben – hahaha!“ Ratte und Pogo sind heute Ende Fünfzig oder tot.