© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/18 / 24. August 2018

Grüße aus Bern
Es geht auch anders
Frank Liebermann

Vor einigen Wochen schrieb ich an dieser Stelle über die finsteren Seiten des Berner Nachtlebens. Exzessiver Suff, regelmäßige Prügeleien, öffentliche Verwahrlosung, alles wie gehabt. Ein paar Biere, Gin Tonics, Joints und andere Suchtmittel gehören in der Partyszene der Hauptstadt einfach zum guten Ton. 

Allerdings durfte ich jetzt erfahren, daß es auch anders geht. Normalerweise freue ich mich ja über Partyeinladungen. Als ich abends einen Freund treffe, erzählt er mir, er müsse noch kurz bei einer Party vorbei, zu einer Kundin von ihm, er müsse dort noch ein paar Steuerunterlagen abholen, die er noch am Wochenende bearbeiten wolle. Es dauere auch nicht lange. Er fragt mich, ob ich noch kurz mitkommen will. Natürlich habe ich nichts dagegen, neue Leute und andere Partys sind schließlich immer spannend. 

Das vegane Essen schmeckt mir, und ein paar Smoothies können ja auch nicht schaden.

Auf der Fahrt dorthin erzählt er mir, seine Kundin sei etwas schräg, es handle sich um eine „Sober Party“. Ich habe zwar schon darüber gelesen, war aber noch nie bei einer. Schließlich sind solche Veranstaltungen dafür bekannt, daß es dort keinen Alkohol, Zigaretten oder andere Suchtmittel gibt. Alles ganz sauber, anständig, schließlich will man ja am nächsten Tag zum Poweryoga. Ich bin auf die Gäste gespannt. Wir malen uns auf der Fahrt dorthin aus, daß es sich vermutlich um den Schlag von Menschen handelt, die auch ohne Alkohol lustig sein können. Das sind meist solche, die über Comedy im Privatfernsehen lachen können oder die Zeit lesen.

Als wir eintreffen, bin ich angenehm überrascht. Es sind rund zwanzig Gäste, der Großteil davon Frauen, einige sehr hübsch. Den gesunden Lebenswandel sieht man den meisten an. Es gibt Säfte, Smoothies, Kaffee, buntes Wasser und dezente Clubmusik. Als ob das nicht aufregend genug wäre, zeigt mir die Gastgeberin das vegane Buffet. Da sei für jeden etwas dabei, da könne ich richtig zuschlagen, schmeichelt sie. Nach einer Weile gefällt mir die Party ganz gut. Die Mädels sind nett, das vegane Essen schmeckt, und ein paar Smoothies können nicht schaden. Die Gespräche sind unaufgeregt, alle haben gute Laune. 

Leider quengelt mein Fahrer. Er leidet an starkem Nikotinentzug, so daß wir die Party verlassen müssen. Wir gehen in die Stadt, drehen die übliche Runde, ein paar Bier, Gin Tonic, um die Smoothies zu kompensieren. Als ich am nächsten Tag mit einem Schädel aufwache, denke ich mit Wehmut an die „Sober Party“ zurück.