© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/18 / 17. August 2018

Herumliegende Fahrradleichen
Leihräder: Mit dem umweltfreundlichen Hoffnungsträger häufen sich die Probleme
Bernd Rademacher

Angerostet und teilweise plattfüßig stehen sie dem Zahn der Zeit ausgesetzt zu Hunderten in den Straßen: herrenlose Fahrradleichen. Ist das die Zukunft eines ambitionierten Verkehrskonzeptes, von dem – gerade im Sommer – landauf, landab moderne Stadträte schwärmen? Kostenlose Leihfahrräder sind eine hoffnungsvolle Vision, doch ihr Start verläuft eher mit angezogener Bremse.

Die Städteplaner der Nachkriegszeit stellten den Autoverkehr in den Mittelpunkt. Die Städte sind längst über die damaligen Dimensionen des Straßenverkehrs hinausgewachsen. Die Folge: ständige Staus. Viele Konzepte wurden dagegen erdacht – zum Beispiel „Park & Ride“ oder „Carsharing“– , viele jedoch eher schlecht angenommen. Kommunale Leihfahrrad-Systeme nach holländischem Vorbild versprachen die Lösung. Schon in den siebziger Jahren experimentierten Amsterdamer Velo-Aktivisten mit den „witten fiets“, einem öffentlichen „Bike-Sharing-System“ nach „hop-on hop-off“-Prinzip: Aufsteigen, losfahren und am Ziel einfach stehenlassen. Deutsche Kommunen versprachen sich wahre Wunderdinge von dem Angebot, vor allem einen strahlenden Imagegewinn, denn das City-Rad kommt emissionsfrei, nachhaltig und „smart“ daher. Doch längst gibt es Probleme, die vorhersehbar waren.

Wie mit öffentlich zugänglichem Eigentum umgegangen wird, kann man am Zustand öffentlicher Toiletten sehen. Ähnlich erging es schon bald nach Einführung manchen Rädern, die als Leichen im Stadtbild herumlagen oder in Seen, Kanälen oder privaten Kellern verschwanden. Wie man die Bezahlung umgehen kann, berichtete ein junger Mann einem Berliner Lokalreporter der B.Z.: „Wir mieten die für 80 Cent an und melden sie mit der App sofort wieder ab. Wenn man das Rad dann einfach nicht abschließt, kann man damit so lange rumfahren, wie man will.“

Kritik kommt auch von Datenschützern

Einige attraktive Städte wurden zum Markt-Schlachtfeld konkurrierender Anbieter. Folge: Häßliche Fahrrad-Friedhöfe gelber, roter und blauer Drahtesel-Flotten. Spaßvögel hängen die Räder an Bauzäune oder Verkehrsschilder. Fußgänger beschweren sich mit Leserpost an die Lokalmedien über abgestellte Radpulks auf den Fußwegen. Zudem ist bei einigen Unternehmen das Bezahlmodell mit verschiedenen Tarifzonen zu kompliziert und unkomfortabel.

Droht nun noch mehr Ärger? Kritik kommt ausgerechnet von Datenschutz-Aktivisten. Der Streit erinnert an die Datenschutz-Kontroverse um das Carsharing-Angebot „Drive Now“ von BMW. 2015 war in einem Gerichtsprozeß um ein Verkehrsdelikt zutage gekommen, daß die Fahrzeuge die Bewegungsprofile der Nutzer speichern. Dies ist ohne ausdrückliche Einwilligung des Kunden nach dem Bundesdatenschutzgesetz aber verboten. 

Der Leihrad-Dienst Obike mußte sich für ein Datenleck verantworten, durch das Nutzernamen, Kontaktinformationen und Bewegungsdaten frei zugänglich im Internet verfügbar waren. Eine Panne in der Obike-App habe den Zugriff auf Social-Media-Daten der Kunden ermöglicht, entschuldigte sich das Unternehmen aus Singapur, das 8.000 Räder in vier deutschen Städten unterhielt, unter anderen in München und Berlin. Die silbernen Fahrräder waren im „Free-Floating-System“ über die Stadt verteilt, also nicht an festen Stationen. Inzwischen hat Obike in Singapur Insolvenz angemeldet. Auch der chinesische Konkurrent Ofo will seine knallgelben Räder wieder vom deutschen Markt zurückziehen, der nur magere Renditen erwirtschaftet. Die stärksten Mitbewerber sind die DB-Tochter „Call-a-Bike“, der chinesische Anbieter „Mobike“, sowie „Nextbike“ aus Leipzig und die Berliner Firma „Byke“.

Dabei ist die Frage nicht, welches Verkehrsmittel setzt sich gegen die anderen durch, sondern wie organisiert man funktionierende „Mobilitätsketten“? Dabei könnte das Leihrad tatsächlich eine Rolle spielen. Beispiel: Ich fahre mit dem Pkw bis an den Stadtrand, steige in Bus oder Bahn (attraktive Preise, Komfort und Sicherheit sowie enge Taktung vorausgesetzt) und nutze für die letzten paar hundert innerstädtischen Meter das Angebot der Radstation. Vor allem für diese „letzten Meter“ wäre das Leihrad interessant.

Voraussetzung sind allerdings funktionierende Systeme, brauchbare Apps und einheitliche Lösungen. Unwahrscheinlich in Deutschland, daß Politik und Unternehmen das hinkriegen.