© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/18 / 17. August 2018

Ein Blau von magischer Anziehungskraft
Richard Wagner: Impressionen von den Bayreuther Festspielen mit einer „Lohengrin“-Neuinszenierung
Werner Dremel

Die diesjährige Neuinszenierung von Richard Wagners romantischer Oper „Lohengrin“ durch den amerikanischen Regisseur Yuval Sharon und seinem einfallsreichen Bühnenbildner, dem Leipziger Maler Neo Rauch und dessen Frau Rosa Loy, fußt durchgehend auf der Farbe Blau in den verschiedenen Schattierungen. Blau ist die Farbe der Treue, Blau als Sinnbild der Romantik steht für die Sehnsucht nach einer mystischen, immateriellen Welt. Wenn in dieser Inszenierung vom Himmel über die Landschaft bis zu den Protagonisten alles in blaues Licht getaucht ist, kann man sich seiner magischen Anziehungskraft nicht entziehen. Schon Friedrich Nietzsche beschrieb das „Lohengrin“-Vorspiel als ein „Blau von opiatischer, narkotischer Wirkung“.

Während Lohengrin im ersten Aufzug über ein Umspannwerk samt Strommasten durch geballte Elektrizitätsausbrüche in diese unsere Welt kommt, treten die Männer von Brabant in schwarz-blauen Kostümen mit großen weißen Halskrausen auf, als seien sie Bildern der flämischen Porträtmaler Frans Hals und Anthonis van Dyck entsprungen. Für Regisseur Sharon kündet diese Szenerie davon, „daß Brabant ein untergegangenes Land ist, (…) das die Energie verloren, und das Verlorene zum Göttlichen überhöht hat. Anders gesagt, Lohengrin muß den Strom ins finstere Brabant bringen …“

Dirigent Christian Thielemann und das Orchester sorgen im mystischen Graben für eine Aufführung von hoher musikalischer Qualität. Subtil bis klangmächtig – der Maestro beherrscht die Riesenskala Wagnerischer Harmonien bis in alle Feinheiten.

Die Bühnenpräsenz aller Solisten ist großartig. Der sängerische Höhepunkt des Werkes, die Gralserzählung, ist eine leitmotivische Wiederaufnahme des Vorspiels. Balsamisch lyrisch und heldisch in einem singt der polnische Tenor Piotr Beczala, der auch optisch einen eindrucksvollen Lohengrin abgibt. Die Sopranistin Anja Harteros präsentiert sich bei ihrem Bayreuth-Debüt als Elsa in Bestform; ihr Duett mit Ortrud hört man in dieser Intensität nur selten. Die Stimmgewalt und Ausdrucksfähigkeit Georg Zeppenfelds als König Heinrich ist einfach phänomenal. Ähnliches gilt für seinen Herold Eglis Silins. Das Antagonistenpaar Telramund (Tomasz Konieczny) und Ortrud (Waltraud Meier) ist wie geschaffen für diese Rollen: Bosheit und Feindschaft in allen Klangfarben! Die grandiose Isolde aus Heiner Müllers Inszenierung ist für diese Partie nach vielen Jahren ein letztes Mal nach Bayreuth zurückgekehrt. Bravo! Und alles ist eingerahmt vom einzigartigen Bayreuther Chor unter seinem seit 2013 amtierenden Direktor Eberhard Friedrich.

Liebhaber des Zyklus „Der Ring des Nibelungen“ müssen sich dieses Jahr mit Frank Castorfs Werkzertrümmerung der „Walküre“ zufriedengeben. In seiner Inszenierung beherrscht bühnenfüllend ein wuchtiger, eindrucksvoller Bau das Bild, der an die mächtigen Holzkirchen in Nordrußland und Skandinavien erinnert: Hundings Haus. Dessen hoher Turm verwandelt sich im zweiten Aufzug in einen Bohrturm – Öl statt Gold ist ja das Zentralthema. Die Walküren marschieren als Kaukasus-Mafia auf, zu ihrem  Ritt leuchtet der Sowjetstern am Turm, und über Video lassen Lenin, Stalin und die Parade der neuen Sowjetmenschen grüßen. 

Im kommenden Jahr werden die Richard-Wagner-Festspiele mit einer Neuinszenierung des „Tannhäuser“ von Tobias Kratzer eröffnet. Die Titelpartie verkörpert Stephen Gould. Als Dirigent soll Valery Gergiev, Chef der Münchner Philharmoniker und des Mariinski-Theaters, sein Debüt in Bayreuth geben. Erstmals auch auf dem Grünen Hügel wird Anna Netrebko zu erleben sein. Sie singt in zwei Vorstellungen des „Lohengrin“ die Elsa.