© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/18 / 17. August 2018

Einzigartiges Sonderbewußtsein
Brillant mit vielen Facetten: Die Bayerische Landesausstellung 2018 im Kloster Ettal zeigt „Wald, Gebirg und Königstraum“ als wichtige Bestandteile des „Mythos Bayern“
Felix Dirsch

Wir feiern Bayern“ lautet das Motto des Jubiläumsjahres 2018. Vor zweihundert Jahren erhielt das Land eine Verfassung, vor einhundert Jahren wurde es Freistaat – eine Bezeichnung, die in der alten Bundesrepublik ein amtlich dokumentiertes Alleinstellungsmerkmal darstellte. In diesem Jahr nun dürften die Landtagswahlen Mitte Oktober für zusätzliche beträchtliche mediale Resonanz sorgen. 

Die große Erzählung von der besonderen Rolle Bayerns neben den „Bruderstämmen“ ist ob ihrer Vielfalt schwer zu fassen. Die Kuratoren der Landesausstellung im Kloster Ettal rücken zuerst den Wald und dessen Bedeutung als Quelle für Nahrung, Nutzstoffe (vornehmlich zum Bauen und Heizen), Schutz vor Erosion und für einiges mehr in den Vordergrund. In den letzten Jahrzehnten ist als neue Funktion vor allem der Klimaschutz hinzugekommen. Noch heute ist ein Drittel der Fläche Bayerns mit Wald bedeckt. Dessen Arten werden ebenso herausgestellt wie die oft komplizierten Besitzverhältnisse: körperschaftliche, staatliche und private. 

Bereits im Frühmittelalter sind die Verfügungsrechte heftig umkämpft. Die Jagd auf Hochwild ist nur Adeligen erlaubt. Dieses Privileg wird jedoch häufig in Frage gestellt. Der „einfache Mann“ mißgönnt es den Oberen nicht selten. Matthias (eigentlich Matthäus) Klostermayr, auch als „Bayerischer Hiasl“ bekannt, führte einige Jahre eine Gruppe „gerechter Räuber“ an, die sich als Wildschützen betätigten. In der Bevölkerung genoß er bald den Ruf eines „bayerischen Robin Hood“. Als ebenso legendär prägte sich der Wilderer Georg Jennerwein ins kollektive Gedächtnis ein.

Tödliche Unfälle in bayerischen Wäldern

Wie bei umfangreicheren Ausstellungen üblich, wird auch der Grundsatz „Learning by doing“ nicht unbeachtet gelassen. Der Besucher kann selbst prüfen, ob er der anstrengenden Arbeit des Sägens gewachsen ist. Die Bewertung entsprechender Bemühungen erfolgt prompt. Lehrreich ist auch die Präsentation unterschiedlicher Sägen.

Die Waldwirtschaft war zu allen Zeiten ein gefährliches Unterfangen. Viele sogenannte Marterl am Straßenrand zeugen von den Opfern. Besonders interessant sind Hörbeispiele aus einer 1994 ausgestrahlten Sendung des Bayerischen Rundfunks. Der spätere oberbayerische Heimatpfleger, Autor und Hörfunkmoderator Paul Ernst Rattelmüller (1924–2004) berichtet über die anstrengende Arbeit als Holzknecht in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Noch 2017 verzeichnete man 25 tödliche Unfälle in bayerischen Wäldern. Es wäre vermessen zu behaupten, im Rahmen einer Besprechung auch nur in groben Zügen auf die Fülle beeindruckender Exponate, vom Stamm einer Fichte mit ihren Jahresringen bis zur Ausrüstung der Förster (bis heute), eingehen zu können. 

Literarische Zeugnisse über den Wald sind Legion. Die bekannten Schriftsteller Ludwig Ganghofer und Ludwig Thoma waren nicht zufällig Söhne von Förstern. Dabei rief die Welt der Berge lange Zeit mehr Schrecken hervor, als heutige Zeitgenossen wahrhaben wollen. Das Zeitalter der Aufklärung brachte auch hier die Wende. Das belegt nicht zuletzt die im Laufe des 18. Jahrhunderts blühende Landschaftsmalerei, in der zahlreiche Heimatbilder entstanden. Zu den prominenten Repräsentanten dieser Gattung zählt Johann Georg von Dillis, zwei Generationen später machte sich (neben vielen anderen) Carl Spitzweg einen Namen.

Im 19. Jahrhundert führten eine erhöhte Mobilität und die Industrialisierung zu maßgeblichen Veränderungen der Alltagswelt, die zu einer Historisierung der Überlieferung nötigten. König Maximilian II. gab die „Bavaria“ als großes Forschungsprojekt über bayerische Geschichte in Auftrag. Seine Auftritte in Lederhose und Joppe erregten Aufsehen und gingen über das Private hinaus. Um die Volkslieddichtung und um das Zitherspiel kümmerte er sich sogar persönlich.

König Ludwig II. setzte den Mythos Bayern architektonisch um. Besonders imposant ist ein mediales Ereignis am Ende des Rundganges: In einem Pavillon wird ein Lichtprojekt in großartiger Theatralik präsentiert, das die berühmten Bauten des Märchenkönigs umrißhaft an die Wand wirft. Dabei werden Projekte berücksichtigt, die schon zu Lebzeiten des Bauherrn vollendet wurden (wie Schloß Linderhof), aber auch Unternehmungen (wie das bayerische Versailles, Schloß Herrenchiemsee, und Schloß Neuschwanstein), die erst nach seinem Tod beendet werden konnten. Vergleichsweise unbekannt sind hingegen Pläne von einem chinesischen und einem byzantinischen Palast, die man nicht realisierte.

Natürlich ging die Mythenproduktion im 20. Jahrhundert weiter. Bis heute legendenumrankt sind die Vorfälle um die Räterepublik von 1918/19. Für viele traditionsverbundene Zeitgenossen war der diesbezügliche kommunistische Einfluß ein nachhaltiger Schock, der auch rechten Gegenströmungen Auftrieb verschaffte. Erfreulicher sind dagegen Hinweise auf moderne Mythen nach 1945. Zu erwähnen sind Inhalte aus dem Bereich des Sports (FC Bayern), auf dem Gebiet des Automobilwesens, aber auch auf politischem Feld, repräsentierte die Eigenständigkeit der CSU von der Schwesterpartei doch stets ein Stück Unabhängigkeit vom Bund. Schon seit einiger Zeit wird die bayerische Lebensart von einer spezifischen Verbindung von Moderne und Herkommen (Laptop und Lederhose) verkörpert. 

Nicht alles jedoch, was Bayern ausmacht, ist mythisch. Die hohe Lebensqualität und die exzellenten Schlüsseldaten auf fast allen wirtschaftlichen Sektoren machen die Region attraktiv, wovon unter anderem die hohe Zahl an Zuzügen zeugt. Selten sind bayerische Lebensart und die Entwicklung des Landes so prägnant dargestellt worden wie in der diesjährigen Landesausstellung, die nicht nur den zahlreichen Liebhabern wärmstens zu empfehlen ist.

Die Landesausstellung ist bis zum 4. November im Kloster Ettal, Kaiser-Ludwig-Platz 1, täglich von 9 bis 18 Uhr zu sehen. Der Eintritt beträgt 12 Euro (ermäßigt 10 Euro), für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre 2 Euro. Der Katalog mit 344 Seiten und etwa 200 farbigen Abbildungen kostet 24 Euro.

 www.landesausstellung-ettal.de