© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/18 / 17. August 2018

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Kommste von ’ne Schicht
Paul Rosen

Schichtdienst“ – das war ein Begriff, den SPD-Abgeordnete wie Walter Arendt (1925 – 2005) noch aus ihrer Zeit unter Tage im Bergbau zur Genüge kannten. In der heutigen arbeiterfernen SPD kennen die vielen gelernten Politologen, Soziologen und Juristen Schichtdienste nur noch vom Hörensagen. Jetzt sollen sie selbst Schichtdienst im Bundestag leisten. 

Die 153 SPD-Abgeordneten staunten nicht schlecht, als die Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles einen Schichtdienst anordnete. Künftig wird die SPD-Fraktion in drei gleich große Gruppen eingeteilt: Die erste Gruppe muß im Plenum sitzen, was die SPD-Präsenzstärke vor allem bei kleineren Debatten enorm vergrößern würde. Die zweite Gruppe soll in Bereitschaft bleiben und muß bei Bedarf binnen 15 Minuten im Plenarsaal sein können. Die dritte Gruppe muß nur bei besonderen Anlässen in den Plenarsaal kommen. Dies ist wichtig, wenn es zum Beispiel zu spontanen Abstimmungen über die Beschlußfähigkeit des Hohen Hauses (Hammelsprung) kommt, was gerne von der Opposition beantragt wird. 

Dann kommen die anwesenden Koalitionsabgeordneten nur sehr zögerlich aus dem Plenarsaal. Zwischenzeitlich werden über Telefonketten Abgeordnete informiert, die zum Plenarsaal eilen. Wenn die Abgeordneten dann wieder durch die Türen in den Saal gehen und gezählt werden, ist ganz plötzlich die Beschlußfähigkeit wieder gegeben – jedenfalls meistens. In der SPD hat natürlich niemand etwas gegen die Einteilung zum Dienst am Donnerstag vormittag. Dann sind die wichtigen Regierungserklärungen und Debatten. Zuvor am Mittwoch sind lediglich Fragestunden, Aktuelle Stunden und die Regierungsbefragung. Die Sitzung endet zumeist am frühen Nachmittag. Problematisch für Volksvertreter sind der Donnerstag abend und der Freitag. 

Am Donnerstag abend locken in Berlin zahlreiche „Parlamentarische Abende“ von Verbänden und Unternehmen. Im Internet sind jede Menge Fotos zu finden, wie es sich Abgeordnete mit Rotwein, Sekt und Häppchen auf Dachterrassen und in Veranstaltungssälen gutgehen lassen. Berlin kann so schön sein – wenn man die entsprechenden Einladungen bekommt. Als besonders übel wird der Schichtdienst am Freitag empfunden. Wenn die anderen schon eingecheckt im Flughafen Tegel sind und bald nach Hause fliegen, dann ist in der SPD noch Schichtdienst angesagt. Der Nürnberger SPD-Abgeordnete Martin Burkert weist darauf hin, daß Abgeordnete auch schon freitags Termine in ihren Wahlkreisen haben. Aber nach einem Schichtdienst „sind wir nämlich frühestens um 23 Uhr in der Stadt. Und dann brauchen wir nirgends mehr hinzugehen.“ (Nürnberger Nachrichten)

Nach dem Grund für den von Nahles verordneten Schichtdienst muß man nicht lange suchen: Er heißt AfD. Die Alternativen waren in ihrer Anfangszeit im Bundestag oft fast vollständig im Plenum. Auch heute noch ist ihre Präsenz überdurchschnittlich, und wenn die Kamera von den AfD-Sitzen zu den anderen Fraktionen schwenkt, dann fällt den Zuschauern eine große Leere auf. Trotzdem wollen die anderen Fraktionen der SPD nicht folgen. Sie hoffen offenbar darauf, daß die AfD-Präsenz weiter zurückgeht.