© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/18 / 10. August 2018

Stalin hielt Berlin im Schwitzkasten
Vor siebzig Jahren mußten die Westsektoren der deutschen Hauptstadt eine mehr als zehn Monate lange Blockade der Sowjets überstehen
Detlef Kühn

Als am 8. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg in Europa mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht endete, hatten britische und amerikanische Truppen größere Teile Mecklenburgs, Sachsen-Anhalts und Sachsens sowie das ganze Gebiet Thüringens besetzt. Hätten sie diese Territorien danach ihren jeweiligen Besatzungszonen zugeschlagen, wäre die europäische Nachkriegsgeschichte wohl anders verlaufen. Unter Berücksichtigung der Polen und der Sowjet-union zugeschlagenen Ostprovinzen des Deutschen Reiches, aus denen die deutsche Bevölkerung weitgehend vertrieben wurde, hätte aus der verbliebenen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)  kaum ein halbwegs lebensfähiger neuer Staat unter sowjetischer Führung gebildet werden können. Die Folge wäre wohl eine Entwicklung wie im vergleichbaren Österreich gewesen, die möglicherweise auch hier zur Neutralisierung Rest-Deutschlands geführt hätte.

Kommunisten wurden bei Berliner Wahl nur Dritte

Es kam bekanntlich anders: Vor allem die Amerikaner glaubten noch an die Kooperationsfähigkeit des sowjetischen Diktators Josef Stalin („Uncle Joe“) und zogen sich, ebenso wie die Briten, auf die in Jalta 1945 verabredeten Besatzungszonen zurück. Zum Ausgleich dieses erheblichen strategischen Machtverlusts erhielten sie – zusammen mit den Franzosen – Mitspracherechte bei der Verwaltung der weitgehend zerstörten deutschen Hauptstadt, die völlig von sowjetischem Besatzungsgebiet umgeben war. So begann im Sommer 1945 die Geschichte Nachkriegs-Berlins, der „Insel im roten Meer,“ die erst fast fünfzig Jahre später mit dem Abzug der letzten Siegertruppen von 1945 enden sollte.

In diesen Jahren stand Berlin stets im Mittelpunkt des sogenannten Kalten Kriegs zwischen dem Imperium Stalins und dem politischen Westen unter Führung der USA, die bald von ihrem naiven Vertrauen zu Stalin geheilt wurden. Der Kalte Krieg war durchaus nicht  unblutig, sondern forderte viele Opfer – vor allem 1950 bis 1953 in Korea und auch bei der Verteidigung Berlins, genauer gesagt: West-Berlins. Zu diesem Thema hat Matthias Bath jetzt eine eindrucksvolle, sehr lesenswerte Dokumentation vorgelegt.

Die Sowjets hatten in ihrer Besatzungszone bald nach dem Ende der Kampfhandlungen die Bildung von Parteien (KPD, SPD, CDU und LDP), sowie kommunalpolitischer Strukturen zugelassen; so auch in Berlin, wo die Westmächte, als sie die ihnen überlassenen Sektoren besetzten, bereits einen Berliner Magistrat und Bezirksverwaltungen vorfanden, in denen Kommunisten die wichtigsten Positionen besetzten. 

Als am 11. Juli 1945 die Stadtkommandantur der vier Alliierten ihre Arbeit aufnahm, blieben die bisher getroffenen Entscheidungen der Sowjets in Kraft. Für künftige Entscheidungen galt Einstimmigkeit. Die Westmächte konnten also auch in ihren Sektoren anfangs die Verhältnisse nur behutsam verändern, zumal sie gegenüber den besiegten Deutschen die Fassade der Einmütigkeit der Siegermächte aufrechterhalten wollten. Dies wirkte sich besonders in der Personalpolitik aus. Die Kommunisten waren überrepräsentiert.

Die Sowjets wurden allerdings, was die Akzeptanz ihrer Gefolgsleute bei der deutschen Bevölkerung anbelangte, durch das Ergebnis der ersten freien Wahlen in ganz Berlin am 20. Oktober 1946 sehr ernüchtert. Bei einer Wahlbeteiligung von 92,3 Prozent erhielten die SPD 48,7 Prozent, die CDU 22,2 Prozent, die LDP 9,3 Prozent der Stimmen. Die SED, die aus der Zwangsvereinigung von KPD und SPD in der SBZ, der sich die Berliner SPD verweigert hatte, hervorgegangen war, belegte mit 19,8 Prozent nur den dritten Platz. Da die SPD auch im Ostsektor in allen Bezirken stärkste Kraft wurde, bot sich in ganz Berlin die Chance, den Einfluß der Kommunisten zurückzudrängen. Stalin erkannte, daß sein politischer Siegeszug in Osteuropa wohl in Berlin nicht so einfach fortgesetzt werden konnte.

Über Stalins Pläne für Deutschland als Ganzes wird bis heute zum Teil erbittert gestritten. Wäre die Teilung Deutschlands durch eine Neutralisierung zu verhindern gewesen? War sie realistisch und wem hätte sie mehr genutzt – dem Osten oder dem Westen? Vieles spricht dafür, daß Stalin zwar gern Deutschland in seinen Machtbereich eingegliedert hätte, aber pragmatisch vorging und seine Politik durchaus sich verändernden Umständen anzupassen vermochte. Das sollte sich auch am Beispiel seiner Berlin-Politik zeigen.

Die militärische Präsenz der drei Westmächte mitten in der SBZ erwies sich bald als Pfahl im Fleisch des kommunistischen Lagers. West-Berlin war ein Anziehungspunkt auch für die Menschen in der SBZ in wirtschaftlicher, kultureller und politischer Beziehung. Hier konnten sich die Deutschen noch relativ problemlos treffen, verwandtschaftliche und freundschaftliche Beziehungen pflegen, Informationen austauschen oder mehr oder weniger legale Geschäfte in der Mangelwirtschaft tätigen. Das alles störte die Eingliederung der SBZ in das östliche Lager. Stalin beschloß also wohl schon 1947, durch eine Blockade der Versorgungswege von West-Berlin nach Westdeutschland und in die SBZ die West-Berliner und ihre Schutzmächte auszuhungern und das westliche Militär zum Abzug zu zwingen. 

Stalin hatte sich mit der Blockade verkalkuliert

Die Westmächte, vor allem die US-Amerikaner und Briten, antworteten mit einer Luftbrücke, die es trotz enormer Schwierigkeiten letztlich doch ermöglichte, die West-Berliner und die westlichen Garnisonen dauerhaft mit dem Nötigsten zu versorgen. Stalin erkannte, daß er sich verkalkuliert hatte, und brach die Blockade nach fast einem Jahr ab. Moralischer Sieger war vor allem die (West-)Berliner Bevölkerung unter ihrem SPD-Bürgermeister Ernst Reuter, die – nur drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – erneut Hunger, Kälte und Arbeitslosigkeit ungebrochen ertragen und damit die ganze Welt beeindruckt hatte. Dieses Ruhmesblatt der deutschen Nachkriegsgeschichte schildert Matthias Bath mit allen notwendigen Details, Hintergründen und Stimmungsberichten. Siebzig Jahre nach diesen aufregenden Ereignissen kommt das Buch wohl gerade noch rechtzeitig, um den verblassenden Erinnerungen der noch lebenden Zeitzeugen eine Struktur zu geben. Es ist auch für die politische Bildung sehr zu empfehlen.

Allerdings – und das spricht auch Bath deutlich an – war mit der Aufhebung der Blockade die Berliner Welt durchaus nicht wieder in Ordnung. Im Gegenteil: Ost- und West-Berlin wurden dauerhaft verwaltungsmäßig getrennt. Ost-Berlin wurde in die SBZ eingegliedert und im Oktober 1949 Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik von sowjetischen Gnaden. In West-Berlin verhinderten die Westmächte, daß ihre Sektoren rechtlich Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland und von dieser regiert wurden. Der innerstädtische Verkehr blieb aber bis zum Bau der Mauer im August 1961 möglich. West-Berlin behielt bis dahin auch seine Anziehungskraft auf die Menschen in der DDR. Vor allem wegen der dadurch ermöglichten Flucht in den Westen blieb West-Berlin für die Machthaber im Osten weiterhin eine Gefahr für ihr Herrschaftssystem. Das erwies sich endgültig nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989, als die rasche Wiedervereinigung die einzige Möglichkeit zur Lösung der deutschen Frage war.






Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn.

Matthias Bath: Die Berlin-Blockade 1948/49. Stalins Griff nach der deutschen Hauptstadt und der Freiheitskampf Berlins. Ereignisse,| Fotos, Zeitzeugen. Neuhaus Verlag, Berlin 2018, broschiert, 132 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro