© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/18 / 10. August 2018

Medienwirksame Aufnahme
Spanien: Nachdem Italien die Häfen schließt, verlagert sich die Migrationsroute ins Königreich
Marco Pino

Es sind 14 Kilometer, die Spanien von Marokko trennen. Bei guter Sicht kann man hier, an der Straße von Gibraltar, die Häuser auf der gegenüberliegenden Seite mit bloßem Auge sehen. Der Traum vieler Afrikaner von einem besseren Leben in Europa – nirgendwo ist er so greifbar wie hier.

Trotzdem war Massenmigration lange kein Thema in Spanien. Doch im ersten Halbjahr 2018 stiegen die Zahlen deutlich an: Über 26.000 illegale Zuwanderer zählte das spanische Innenministerium bis Ende Juli – davon 6.000 im Juni und weitere 8.000 im Juli. 

Es gibt viele Wege, die nach Spanien führen. Manche versuchen, in marokkanischen Häfen auf Lkws, unter Reisebusse oder sonstwie heimlich auf eine Fähre zu kommen. Andere bezahlen horrende Geldbeträge, um von ortskundigen Schmugglern im Schutze der Nacht auf Schnellbooten und sogar Jetskis an den strengen Kontrollen vorbei an abgelegene andalusische Strände gebracht zu werden. 

Ziel der gefährlichen Fahrt:  „gerettet“ werden 

Wieder andere versuchen es über die Landgrenzen zwischen Marokko und den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla – wie zum Beispiel am 26. Juli, als 602 Schwarzafrikaner bei einem Massenansturm den hochgerüsteten Grenzzaun bei Ceuta überwanden.

 Doch all das gab es auch schon in den vergangenen Jahren. Neu ist, daß nun auch hier jene Methode Anwendung findet, die man bislang nur von der zentralen Mittelmeerroute kannte: Migranten fahren mit überladenen Schlauchbooten aufs Meer, um „gerettet“ und somit nach Europa gebracht zu werden. Nicht-Regierungsorganisationen braucht es dazu in Spanien nicht – aufgrund der Nähe übernimmt hier die offizielle spanische Seenotrettung Salvamento Maritimo (Sasemar) unfreiwillig deren Rolle.

Ignacio López ist deren Direktor. Sein Arbeitsplatz befindet sich auf einem Berg oberhalb der Hafenstadt Tarifa. Die Meerenge von Gibraltar liegt López förmlich zu Füßen. Genießen kann er den Blick nicht. „Die letzte Woche war für uns extrem anstrengend“, sagt er gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Normalerweise rette man Fischer, deren Boote in der gefährlichen Meerenge in Seenot geraten sind. „Für diese Form der Migration ist Salvamento Maritimo weder gedacht noch gemacht“, sagt López 

In Seenot ist jeder, der sich mit unmotorisierten Schlauchbooten ins Meer rund um die Straße von Gibraltar wagt, schon wegen der Strömungen und Winde, die hier herrschen können. Über 300 Migranten kamen hier laut offiziellen Zahlen dieses Jahr ums Leben, in Wahrheit dürften es viel mehr gewesen sein. „Wer kentert, den zieht die Strömung entweder ins Mittelmeer oder in den Atlantik“, erklärt ein Kapitän von Sasemar im Hafen von Tarifa. 

Anfang August verschafft das Wetter den Seenotrettern eine kurze Verschnaufpause. An den Tagen zuvor habe alleine sein Schiff gut 500 Migranten an Land gebracht, erklärt der Kapitän, bis die spanische Militärpolizei Guardia Civil das Abladen weiterer Migranten untersagte. 

So kam es in Tarifa Ende Juli zu chaotischen Zuständen: Migranten mußten tagelang im Hafen und auf Rettungsschiffen ausharren. „Die Guardia Civil hat das mit Absicht getan, um zu verhindern, daß wir wieder auslaufen und weitere Menschen retten können“, ist sich der Kapitän sicher.

Sozialist Sánchez’ Willkommenspolitik

Während das schlechte Wetter die Lage in Tarifa entspannte, sind im 15 Kilometer entfernten Hafen von Algeciras am selben Tag immer noch gut 500 Migranten, allesamt Schwarzafrikaner und fast aussschließlich junge Männer, auf einer abgelegenen Mole untergebracht. 

„Sasemar fährt raus bis in marokkanische Gewässer, holt dort die Migranten ab und schifft sie nach Spanien“, beschwert sich der Polizist in Tarifa über das Gebaren der Seenotretter. 

Nur wenige hundert Meter entfernt beklagte der bereits genannte Sasemar-Kapitän: „Die Guardia Civil verfügt über hochmoderne Schiffe, aber rettet keinen einzigen!“ Hier zeigt sich: Sasemar und Guardia Civil tragen vor Andalusiens Küsten eine Art Stellvertreterkonflikt aus. Die einen wollen „retten“, die anderen „Grenzen schützen“, beides zusammen geht aber nicht, solange Migranten das System europäischer Seenotrettungen für ihre offenkundigen Zwecke mißbrauchen. 

Im Grunde ist es derselbe Konflikt, der auch politisch tobt – zwischen Linken und Rechten. Nur, daß es in Spanien in Aylfragen lange Zeit gar keinen Konflikt gab, sondern einen parteiübergreifenden Konsens, Massenmigration zu unterbinden. 

Doch seit Rajoys Partido Popular  über einen Korruptionsskandal stürzte und im Zuge dessen am 2. Juni 2018 der Sozialist Pedro Sánchez per Mißtrauensvotum an die Macht kam, wackelt jener Konsens, der Spanien zwölf Jahre lang vor einer neuen Asylkrise bewahrte.

Zu den ersten Amtshandlungen der neuen Regierung zählte die medienwirksame Aufnahme des NGO-Schiffes „Aquarius“ mit 650 Migranten an Bord, die in Italien nicht mehr einlaufen durfte. Dazu kündigte der neue Innenminister Fernando Grande-Marlaska an, den Stacheldraht an den Grenzzäunen der Exklaven entfernen zu lassen und beteuerte dies erneut nach dem jüngsten Ansturm auf Ceuta. 

Doch gerade die Bilder dieses Aktes der Gewalt, bei dem Migranten mit selbstgebauten Flammenwerfern vorgingen und mehrere Polizisten verletzt wurden, brachten die neue linke Regierung unter Sánchez innenpolitisch in Erklärungsnot.