© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/18 27. Juli / 03. August 2018

Eine Stadt unter Schockstarre
„Moral bombing“ in perfider Perfektion: Der britische Vernichtungsangriff auf Hamburg Ende Juli 1943 mit Zehntausenden Toten
Peter Möller

Hamburg und Dresden sind nicht nur durch die Elbe und eine Städtepartnerschaft miteinander verbunden. Die stolze Hansestadt und die ehemalige sächsische Residenzstadt verbindet die Erfahrung der fast völligen Zerstörung durch die alliierten Bomberflotten im Zweiten Weltkrieg. Doch während „Dresden“ in Deutschland heute fast synonym für den rücksichtslosen und sinnlosen Bombenkrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung steht – beziehungsweise für den Streit um die historische Einordnung der Flächenbombardements – , sind die Luftangriffe, die im trockenen Sommer vor 75 Jahren weite Teile Hamburgs verheerten, außerhalb der Hansestadt heute kaum noch im kollektiven Bewußtsein präsent.

Stadtbezirke wurden zur entvölkerten Trümmerwüste

Und selbst in Hamburg spielt die Erinnerung an die schrecklichen Folgen der von den Briten als Operation „Gomorrha“ bezeichneten sechs Großangriffe abseits der runden Jahrestage kaum eine Rolle. Dabei waren die Ausmaße bis dahin beispiellos: Binnen elf Tagen ging vom 25. Juli bis zum 3. August 1943 die bis dahin unvorstellbare Menge von 8.500 Tonnen Spreng- und Brandbomben auf die Stadt nieder – ein Vielfaches der Bombenlast auf Dresden 1945. Mindestens 35.000 Hamburger, wahrscheinlich sogar bis zu 43.000 Menschen, wurden getötet. 125.000 trugen Verletzungen davon, und Hunderttausende wurden obdachlos. Dennoch: Ein zentrales Mahnmal für die Bombenopfer, etwa auf dem Rathausmarkt, existiert bis heute nicht. Offiziell gedenkt man jährlich am Volkstrauertag an der durchaus würdigen Begräbnisstätte der Zehntausenden Opfer, die vielfach nicht mehr identifiziert werden konnten, auf dem parkähnlichen Ohlsdorfer Friedhof im Nordosten der Stadt. 

Ähnlich sieht es mit den anderen zumeist kleineren Gedenkstätten in den besonders stark zerstörten Stadtteilen Billbrook, Barmbek, Hammerbrook oder Rothenburgsort aus, die sich zudem häufig in einem verwahrlosten Zustand befinden. Und auch die Ruine der Nikolaikirche, deren 147,3 Meter hoher Turm den anfliegenden Bomberbesatzungen als Zielmarke gedient hatte, führt als Gedenkstätte an die Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg nur ein Schattendasein (siehe Seite 22) – trotz aller Bemühungen privater Initiative und einer kleinen Ausstellung. 

Doch warum ist eine solch gewaltige Katastrophe, bei der ganze Stadtviertel durch Feuerstürme komplett vernichtet wurden, heute fast vergessen beziehungsweise verdrängt? Anders als beispielsweise in Dresden oder anderen deutschen Städten trafen die Bombenangriffe in Hamburg nicht in erster Line das historische Zentrum, sondern neuere, vorgelagerte Stadtteile. Diese waren zumeist am Ende des 19. beziehungsweise Anfang des 20. Jahrhundert mit wilhelminischen Mietshäusern bebaut worden, um die stark wachsende Bevölkerung unterzubringen. Nach den Feuernächten des Sommers 1943 blieb davon, etwa in dem östlich der Altstadt gelegenen Stadtteil Hammerbroock, der vollständig vernichtet wurde, kaum etwas übrig. Von den rund 40.000 Einwohnern Hammerbrocks starben 12.000, der Rest mußte die Trümmerwüste verlassen. Nach dem Krieg wurde das Gebiet, auf dem bis heute längst nicht alle Opfer geborgen wurden, zu einem Gewerbegebiet umgewidmet, in dem nun lediglich noch knapp 4.000 Menschen leben.

Die Hamburger Innenstadt zwischen Alster und Elbe blieb dagegen trotz aller Zerstörungen mit ihren fünf Hauptkirchen und dem imposanten Rathaus in ihrer Struktur und ihrem architektonischen Charakter weitgehend erhalten, und läßt zumindest auf den ersten Blick die Schrecken des Bombenkrieges heute im Gegensatz zu manch anderen Städten vergessen.

Die alliierten Luftangriffe trafen Hamburg 1943 nicht unerwartet. Der militärischen Führung war seit Kriegsbeginn bewußt, daß der Hafen und die Werften der Stadt, die zudem ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt war, ein lohnendes Ziel für feindliche Luftangriffe sein würde. Entsprechend hatte sich die Stadt unter ihrem nationalsozialistischen Gauleiter Karl Kaufmann auf die drohende Gefahr vorbereitet.

Die Hälfte des Wohnraumes in Hamburg war zerstört

Im gesamten Stadtgebiet waren bis zum Sommer 1943 zum Schutz der Bevölkerung insgesamt 139 massive Luftschutzbunker errichtet worden, dazu 773 sogenannte „Sonderbunker“ zum Schutz vor Bombensplittern und rund 1.500 öffentliche Luftschutzräume. Auch die Keller der Wohnhäuser wurden als Schutzräume hergerichtet und entsprechend verstärkt. Insgesamt standen so für 400.000 Hamburger Schutzräume zur Verfügung. Ein „Generalerlaß für Großkatastrophen“ sollte für den Fall von schweren Luftangriffen für die zügige Bewältigung der Folgen sorgen. Zudem hatte es noch Anfang Juli 1943 Stabsübungen gegeben, bei denen unter anderem die Evakuierung von Obdachlosen aus der Stadt sowie die Lebensmittelversorgung geübt wurde. Die Behörden der Hansestadt, denen mehr als 20.000 Feuerwehrleute und Katastrophenhelfer sowie 12.000 Wehrmachtssoldaten unterstanden, waren daher überzeugt, daß sie gut gerüstet waren.

Doch die umfangreichen Vorbereitungen erwiesen sich dennoch als völlig unzureichend, als die massiven Luftangriffe Ende Juli 1943 über die Stadt hereinbrachen. Denn mit einer dermaßen fatalen Wirkung der abgeworfenen Kombination von Spreng- und Brandbomben hatten die Verantwortlichen nicht gerechnet. Das heiße und trockene Wetter begünstigte den Plan der alliierten Bombenkriegsplaner, mit Hilfe von Feuerstürmen ganze Wohnquartiere möglichst mitsamt der Bevölkerung auszulöschen. Mit Windgeschwindigkeiten von bis zu einhundert Kilometern in der Stunde jagte das entfachte, bis zu 1.000 Grad heiße Feuer durch die betroffenen Stadtviertel und vernichtete unzählige Menschen. Wer sich nicht rechtzeitig aus den Kellern der zerbombten und wie Fackeln brennenden Häuser retten konnte, wurde verschüttet, erstickte oder verdampfte. Wer es auf die Straßen schaffte, durch die das Feuer tobte, wurde nicht selten von diesem bei lebendigem Leib verzehrt.

Noch heute versuchen in Hamburg Psychologen, Überlebenden der Bombennächte dabei zu helfen, die grauenhaften Ereignisse, die sie als Kinder ertragen mußten, zu verarbeiten.

Am Ende der Angriffe lag die Stadt zerschlagen und entvölkert da. Die Hälfte des Wohnraumes in Hamburg war zerstört, 900.000 Menschen verließen in der Folge die Stadt. Vor allem Familien mit Kindern wurden in ländliche Gebiete ausquartiert, viele kehrten erst nach Kriegsende nach Hamburg zurück. Die Stadt ist bis heute durch die Flächenbombardements gezeichnet. Doch man muß die Zeichen im Stadtbild lesen können – und wollen.