© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/18 27. Juli / 03. August 2018

Das Unheil nimmt seinen Lauf
Nigeria: Die christlichen Bauern leiden unter Morden und Vertreibungen durch muslimische Viehzüchter
Josef Hämmerling

Die derzeitigen Berichte über die Lage der Christen in Nigeria lassen einen erschaudern. „Wir erleben dort gerade einen Völkermord“, beklagte der international renommierte Menschenrechtsanwalt, Emmanuel Ogebe erst kürzlich im Interview mit dem nigerianischen Fernsehsender CBS. „Es wird versucht, den Christen ihr Land zu rauben und sie zu vertreiben.“ 

Der sich seit Jahren verschärfende Konflikt nigerianischer Bauern mit muslimischen Viehzüchtern des Fulani-Stamms erlebte in den vergangenen Monaten traurige Höhepunkte. Ende Juni ermordeten Fulani bei mehreren Überfällen auf dutzende christliche Dörfer über 200 Menschen, viele grausam niedergemetzelt. Die anfangs angegebene Zahl von 86 Ermordeten mußte immer wieder nach oben korrigiert werden. Schätzungen des christlichen Hilfswerks Open Doors gehen von 6.000 Christen aus, die allein in diesem Jahr bei nächtlichen Überfällen getötet wurden.

Scharia breitet sich seit Jahren aus 

Die Hauptgefahr bestehe derzeit in den zentralen und nördlichen Landesteilen, erklärt Joseph Scheppach von der Organisation „Hilfe für verfolge Christen“ (HMK) der JUNGEN FREIHEIT. Während es zwischen 2007 und 2011 zu 67 blutigen Auseinandersetzungen zwischen Viehzüchtern und Ackerbauern gekommen sei, seien es zwischen 2012 und 2018 bereits 716 Vorfälle gewesen. Von Januar bis Ende April dieses Jahres seien alleine im Bundesstaat Benue 170.000 Männer, Frauen und Kinder vertrieben worden. 

Seinen Ursprung habe die Radikalisierung in den Kriegen und Interventionen der USA im Nahen Osten, die sich auch unmittelbar auf den westafrikanischen Staat ausgewirkt hätten, erläutert der Generalvikar des Bistums Enugu, Obiora Ike, im Gespräch mit der JF. „Die Muslime in Nigeria wollten Vergeltung für die Kriege im Irak und in Afghanistan. Sie konnten die USA nicht erreichen, aber die Christen im eigenen Land. Das Unheil nahm seinen Lauf.“ So hätten die Muslime immer mehr Einfluß gewonnen und seien vor allem im Norden des Landes die führende (fanatisch) religiöse Kraft geworden.

Bereits 2001 führte das nördliche Bundesland Bauchi die Scharia ein, die sich im Lauf der Jahre auf weitere Bundesstaaten ausweitete. Im Rahmen der zunehmenden Islamisierung gründete sich auch die terroristische Bewegung Boko Haram, die sich 2015 der Terrororganisation Islamischer Staat anschloß. Nach Schätzung der Sicherheitsbehörden wurden seit 2009 mehr als 20.000 Menschen durch Boko Haram getötet und etwa 2,6 Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Durch konzertierte Aktionen der Sicherheitskräfte Nigerias, Kameruns und Nigers konnte Boko Haram zwar etwas zurück gedrängt werden, blieb aber weiter aktiv und stellt besonders für Christen eine große Bedrohung dar.

Doch neben Boko Haram geht die Gefahr derzeit vor allem von den Fulani aus, mit 29 Prozent der größte Volksstamm Nigerias und besonders stark im Norden des Landes vertreten. Neben religiösen Gründen nimmt der Konflikt um Land und Ressourcen auch durch die fortschreitende Wüstenbildung in Nordnigeria, das Bevölkerungswachstum und die allgemeine angespannte wirtschaftliche Lage zu. Und das, obwohl die Wirtschaft des Landes rasant wächst und Nigeria seit 2014 vor Südafrika die größte Volkswirtschaft Afrikas ist. Da der Wohlstand in Nigeria aber immer noch sehr ungleich verteilt und die Korruption sehr hoch ist, fällt es islamischen Organisationen leicht, ihren Einfluß immer mehr auszuweiten.

Zu Besorgnis führt auch die immer stärkere Bewaffnung der Fulani, vor allem mit Kalaschnikow-Sturmgewehren. Seit dem Sturz des libyschen Staatsoberhauptes Muammar al-Gaddafi strömen immer mehr Waffen aus Libyen in das Land. Im Gegensatz zu früher werden die Waffen zunehmend offensiv zu Angriffen auf christliche Bauern eingesetzt und nicht mehr wie früher erst bei Widerstand. 

Kirche fordert Präsident Buhari zum Rücktritt auf

Obiora Ike macht die Regierung Nigerias für das Morden mitverantwortlich. Der seit 2015 regierende Präsident Muhammadu Buhari von der sozialdemokratischen Partei All Progressives Congress, selbst ein Fulani, verharmlose die Geschehnisse nicht nur, sondern decke sie sogar, beklagt er im Gespräch mit der JF.

Ende Mai kam es in ganz Nigeria zu Massenprotesten Tausender Christen. Angeführt wurden diese unter anderem vom Bischof der katholischen Diözese in Abeokuta, Olukayode Odetovinbe. Bei der Kundgebung in der Hauptstadt des nigerianischen Bundesstaates Ogun forderte Odetovinbe Präsident Buhari zum Rücktritt auf.  Dieser sei nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes verantwortlich, sondern müsse sich auch um die Sicherung der Lebensbedingungen seiner Bürger kümmern. Doch genau dies sei unter Buhari nicht der Fall. Der Kirchenmann kündigte für die kommenden Monate weitere Proteste an – so lange bis sich die Sicherheitslage für die Christen in Nigeria bessere.