© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/18 27. Juli / 03. August 2018

Ländersache
Mit der Moralkeule in Richtung Sperrklausel
Thorsten Brückner

Die SPD Bayern weiß, wie man Wahlen verliert. Wenn es darum geht, Töne zu treffen, die im Freistaat zuverlässig schlecht ankommen, macht den Erben von Volkmar Gabert und Helmut Rothemund so schnell keiner ein X für ein U vor. Auch im diesjährigen Landtagswahlkampf bleiben sich die Sozialdemokraten treu. Die Landtagsfraktion kündigte vergangene Woche an, den Kapitän des Schiffes „Lifeline“, Claus-Peter Reisch, mit dem Europa-Preis auszuzeichnen. 

Die Roten, die derzeit in Umfragen bei zwölf Prozent stehen, feiern Reisch als „Seenotretter“, der „die Werte am Leben hält, für die unsere Gemeinschaft steht“. Reisch leistete im Juni 2018 einen Fährdienst für 234 mehrheitlich aus Afrika stammende illegale Einwanderer. Kritiker sprechen von Schleusertätigkeiten. Reisch, der sich wegen des widerrechtlichen Eindringens in maltesische Hoheitsgewässer derzeit vor einem Gericht auf der Mittelmeerinsel verantworten muß, ist sich keiner Schuld bewußt. „Vielleicht gibt es noch einen ganz anderen Richter ein Stück weit über uns. Letztendlich wird der das Urteil fällen“, sagte er dem Bayerischen Rundfunk. 

Über das Verhältnis der SPD zum Allmächtigen kann nur spekuliert werden. Zumindest kommt die Partei im Fall Reisch zum selben Urteil, das der Schlepper-Kapitän auch dem Herrgott in den Mund legt. „Daß diesem tapferen Mann in einem Gerichtsverfahren eine Strafe droht, ist eine Bankrotterklärung an die Menschlichkeit und das Mitgefühl“, klagt Landeschefin Natascha Kohnen. Fraktionschef Markus Rinderspacher sagt zu den Aktivitäten Reischs: „Seenotrettung ist praktizierte Humanität.“ Groß war der Shitstorm in den sozialen Medien. „Claus-Peter Reisch ist für die Ausbeuter der Notleidenden ein nützlicher Idiot“, schreibt ein Nutzer. Es gäbe weniger Menschen, die sich in untergangsreife Boote setzen würden, gäbe es die vermeintlichen „Seenotretter“ nicht. Die SPD zeigt sich ob der Kritik unbeeindruckt: „Wir sind stolz darauf, daß wir für Menschenwürde und Nächstenliebe stehen“, kontert sie auf Facebook. Auch angesichts der vielen Nutzer, die der Partei wegen genau solcher Aktionen ein schwaches Abschneiden im Herbst prophezeien, hält die SPD Kurs. „Wir verteidigen diese Haltung, komme was wolle.“ 

Wenn die SPD so weitermacht, könnte diese Verteidigung in nicht allzu ferner Zukunft in der Außerparlamentarischen Opposition stattfinden. Denn der Abstieg setzt sich unter dem Duo Kohnen/Rinderspacher mit voller Wucht fort. Als Spitzenkandidat Franz Maget 2003 und 2008 19,6 beziehungsweise 18,6 Prozent holte, herrschte in der Parteizentrale Weltuntergangsstimmung. Heute würde sich Kohnen für ein solches Ergebnis von den Genossen als Wahlsiegerin feiern lassen. Selbst der zweite Platz hinter der CSU, auf den die Partei bei jeder Wahl seit 1946 das Abonnement hatte, ist diesmal in Gefahr. Sowohl die Grünen als auch die AfD – und mit etwas Pech sogar die Freien Wähler – könnten an den Sozis vorbeiziehen.

 Aber mit ihrem Kurs hat die Partei auch ganz unerwartete Nachahmer. Der Spitzenkandidat der chronisch erfolglosen FDP, Martin Hagen, macht derzeit unter anderem Wahlkampf mit seinem Einsatz für einen abgelehnten Aylbewerber aus Afghanistan. Von der SPD lernen heißt in Bayern verlieren lernen.