© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/18 / 20. Juli 2018

Pankraz,
die Bettleroper und der Kinderblick

In praller Sonne sitzt eine Frau am Eingang der Berliner U-Bahn-Station Wittenbergplatz auf dem Boden – einen Steinwurf vom Kaufhaus des Westens entfernt. Im Schoß hält sie ein kleines Mädchen, vielleicht gerade drei Jahre alt, mit großen ratlosen Augen. Es streckt sein Ärmchen und sein winziges Händchen zum Zeichen des Bettelns aus. Die meisten Passanten suchen im Portemonnaie nach einer kleinen Spende, andere schauen verlegen weg, einige streifen Mutter und Kind mit einem hastigen Blick, in dem sich mal Mitleid, mal schroffe Ablehnung vermischen. 

Es sind kriminelle Szenen, die da abrollen, denn in Berlin ist „Betteln mit Kind“ per Gesetz seit vorigem Jahr verboten. 500 Euro Bußgeld sind fällig, wenn Kinder zum Betteln mißbraucht werden; der Senat der Stadt reagierte damit auf Klagen der „City AG“,  zu der sich Händler vom Kurfürstendamm zusammengeschlossen haben, weil sie (berechtigte) Sorge haben, daß durch die immer weiter um sich greifende planmäßige Bettelei mit Kleinkindern potentielle Kunden vom traditionellen Kurfürstendamm-Bummel und vom Betreten der Geschäfte abgehalten werden.

Auch in Hamburg wandten sich Händler der City voriges Jahr in einem offenen Brief an den Innensenator und baten, dem „organisierten Betteln“, insbesondere dem Betteln unter Einsatz von Kleinkindern, stärker als bisher mit mehr Polizei zu begegnen. Das übliche „passive Betteln“ gehöre zwar zu einer Großstadt dazu und störe niemanden, „da jeder selbst bestimmen kann, ob man spendet oder nicht“. Aber der gewerbsmäßigen und aufdringlichen Bettelei inklusive dem demonstrativen Vorzeigen von Kleinkindern müsse endlich Einhalt geboten werden.


Von Einhalt kann nun freilich, wie man inzwischen weiß, nicht die geringste Rede sein, im Gegenteil. Das Bettelgeschäft unter Einsatz von Kleinkindern hat seit der Ankunft von anderthalb Millionen Migranten seit Ausrufung der Merkelschen „Willkommenskultur“ gewaltig zugenommen, und es hat mittlerweile schwerwiegende politische Auswirkungen. Es ist zum Kampfmittel derer geworden, die für eine ungebremste und unkontrollierte Zuwanderung nach Deutschland und Eutopa eintreten und das demokratische Recht des Asylgewährens beziehungsweise -nichtgewährens faktisch aufheben möchten.

Kaum ein Bericht über Zuwanderung im Fernsehen mehr, in dem nicht Babys von Asylbegehrenden rührend ratlos mit großen Augen in die Kamera blicken und unser Herz bewegen. Die Wahrheit ist aber: Diese Kinder haben nichts mit der Sache, um die es geht, zu tun. Sie werden voller Absicht zu Objekten eines Bettelbetriebs gemacht, der jedes rationale Argument ausschalten soll, gleichsam zu Statisten einer Bettleroper, einer „Dreigroschenoper“, wie sie keine Elisabeth Hauptmann und kein Bertolt Brecht je besser hätten inszenieren können. 

Fast neunzig Jahre ist es jetzt her, daß die „Dreigroschenoper“ im Berliner Theater am Schiffbauerdamm uraufgeführt wurde. Es war damals nicht nur ein gewaltiger Theatererfolg, es war vielmehr  – Pankraz wagt die Feststellung – ein Markstein für das wirtschaftliche und kulturelle Leben der Moderne überhaupt. Meisterhaft und höchst amüsant wird vorgeführt, daß Betteln keineswegs nur aus spontaner Bittstellerei armer, hungriger Leute besteht, sondern auch und vor allem ein riesiges, höchst einträgliches Geschäft sein kann, wenn man es richtig nach gewissen Regeln betreibt.

Gut paßt dazu, daß Hauptmann/Brechts „Dreigroschenoper“ in weiten Teilen lediglich ein Plagiat von John Gays Londoner „Bettleroper“ von 1728 war. Elisabeth Hauptmann hatte den Originaltext übersetzt, Brecht „modernisierte“ hier und da und lieferte einige umwerfende Songs dazu, die Kurt Weill glorios in Musik setzte – fertig war das spektakuläre Jahrhundertstück. Es geht darin um zwei Chefs einer Bettlermafia, von denen der eine seinen Leuten beibringt, wie man ordentlich Mitleid erzeugt; der andere ist nebenbei Polizeispitzel und sorgt dafür, daß die Zusammenarbeit zwischen oben und unten gut funktioniert.


Kleinkinder als Mittel zur Mitleiderzeugung und Erregung medialer Empörung kommen in der „Dreigroschenoper“ noch nicht vor. Weibliche Zentralfigur ist dort Polly Peachum, die Tochter eines der Mafiabosse, welche die Ballade vom bettelnden Küchenmädchen „Seeräuberjenny“ vorträgt. Diese träumt unentwegt von der großen Stunde Null, die eines Tages für alle Bettler anbrechen wird. Die ganze Stadt wird dann von Seeräubern zusammengeschossen und mit ihnen sämtliche mitleidigen Spendengeber, hurra!

Hauptmann/Brecht waren in ihrer Dreigroschenoper wenigstens ehrlich, wie schon John Gay in seiner Beggar’s Opera von 1728. Das Bettelwesen, so ihre Botschaft, hat mehr mit Geschäftssinn als mit Kinderblicken zu tun. Asylbewerber, die im öffentlichen Raum aufdringlich ihre Kleinkinder vor sich herschieben, sind oft nicht primär am Wohl ihrer Babys interessiert als vielmehr am Betreiben ihrer eigenen, erwachsenen Geschäftsinteressen. Die aufnehmenden Behörden müssen das im Kopf behalten und dürfen sich nicht durch bloße Gefühle irre machen lassen.

Und was für Migrationsfragen gilt, das gilt nicht weniger für andere Fragen des Bettelwesens. Noch nie in der Geschichte wurde so viel und mit so vielen  Methoden und Tricks gebettelt wie in unseren modernen Tagen. Das Betteln ist zu einem wichtigen Moment der internationalen Politik geworden. Ungeheure Summen werden ausgegeben und empfangen ohne die geringste Rückgabeforderung oder Rückgabegarantie. Ungeheure Summen werden von den Empfängern gar nicht unmittelbar verbraucht, sondern für waghalsige Investitionen genutzt.

Der Bettler als Investor? Das mag manchem recht komisch vorkommen. Aber wie spricht Julia in Shakespeares Drama   „Romeo und Julia“ zu ihrem Romeo? „Bettler wissen ihres Guts Betrag.“ Mit ratlosen Kinderblicken hat das jedenfalls wenig zu tun.