© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/18 / 20. Juli 2018

Heilige Krieger in der Sauna
Der Fall Sami A.: Wie der ehemalige Leibwächter Osama bin Ladens einen Bochumer Karateverein im Handstreich eroberte
Karsten Mark

Zwölf Jahre lang hielt Osama bin Ladens früherer Leibwächter Sami A. deutsche Behörden zum Narren, predigte den „Heiligen Krieg“ und kassierte dabei einen fünfstelligen Betrag an Sozialleistungen für seine sechsköpfige Familie. Zwei Landesregierungen und eine andauernde Asylkrise später ist der Tunesier nun doch aus Nordrhein-Westfalen abgeschoben worden – vorerst. Mehr als 20 Jahre hat der 42jährige in Deutschland verbracht und sämtliche Schlupflöcher der deutschen Rechtsprechung ausgenutzt – ein Lehrstück über Gutgläubigkeit und Gewinnstreben, falsch verstandene Toleranz und vorauseilenden Gehorsam.

Enger Freund des IS-Predigers Abu Walaa

Anhänger gängiger Kampfsportarten ticken oft ähnlich: Respekt und Autorität erwirbt man sich mit der Farbe seines Gürtels. Ist die schwarz, ist man wer. Ist sie weiß, ein Nobody. Sami A. ist ein begeisterter Karate-Sportler. Und als solcher hat er seine Karate-Köpenickiade glatt als weißer Niemand unter lauter Schwarzgürteln hingelegt. Allein mit der Behauptung, er habe „früher“ mal die Prüfung zum schwarzen Gürtel abgelegt, bloß die Unterlagen dazu „gerade“ nicht greifbar, sicherte er sich rasch seinen Platz in der „Oberstufe“ seiner Bochumer Karateschule. 

Der untersetzte, 1,65 Meter große  Mann hatte längst gelernt, wie der Hase läuft in Deutschland: Solange man dir das Gegenteil nicht eindeutig beweisen kann, kannst du alles behaupten. Niemand wird es wagen, dich einen Lügner zu nennen, nicht einmal Behörden oder gar Gerichte. Letzteren hatte Sami A. weismachen können, ihm drohten in seiner tunesischen Heimat „Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung“. Eine Abschiebung des vom Verfassungsschutz seit vielen Jahren als „Gefährder“ eingestuften Salafisten sei daher „unverhältnismäßig“, urteilte das Oberverwaltungsgericht Münster noch im April 2017. 

Sami A. fühlte sich wohl in seiner Bochumer Arbeitersiedlung Stahlhausen. Wie aus seiner polizeilichen Ermittlungsakte hervorgeht, hatte der selbsternannte Prediger Ende 2015 seinen guten Dschihadisten-Freund Abu Walaa, mutmaßlicher Statthalter des „Islamischen Staats“ (IS) in Deutschland, erst zum Essen und dann in „seine“ Karateschule in die Sauna eingeladen. Das hat der Kölner Stadtanzeiger kürzlich mit einer Recherche enthüllt – und mir damit die überraschende Erkenntnis beschert, daß ich mich zeitweise im Dunstkreis hochrangiger Terroristen bewegt hatte, ohne das Geringste davon geahnt zu haben.

Abu Walaa, der eigentlich Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah heißt und 2001 als Asylbewerber aus dem Irak nach Deutschland kam, steht seit Ende September mit vier weiteren Islamisten im niedersächsischen Celle vor Gericht (JF 51/17). Sie sollen Jugendliche zum Kampf für den IS motiviert und auf den Weg in den Nahen Osten gebracht haben. Ende 2015 hatten die Geheimdienste Abu Walaa offenbar schon sehr genau auf dem Schirm – ein knappes Jahr vor seiner Festnahme.

Zu dieser Zeit habe auch ich in jener Bochumer Karateschule trainiert, die sich ironischerweise im Gebäude der ehemaligen evangelischen Friedenskirche befindet. Ich erinnere mich noch, wie Sami A. 2014 mit seinen Freunden im Dojo, dem Vereinshaus, auftauchte. Auf die Seniorengruppe „50 plus“ hatte das unmittelbare Auswirkungen. Mit einem Schlag wurde ihre wöchentliche Trainingseinheit um eine Viertelstunde verkürzt und aus der großen Trainingshalle – dem ehemaligen Kirchenschiff – in den früheren Gemeindesaal verlegt. Die Begründung war kurios: Es gäbe nun eine neue, parallel trainierende Gruppe mit „Marokkanern“, sagte der Karate-Meister. Die wollten lieber alleine duschen, weil sie sich genierten vor den Deutschen – wegen der Religion und so. 

Der Karate-Meister ist eine höchst dekorierte Autorität seines Sports. Und er ist ein geschäftstüchtiger Mann, wenn es um die Erschließung neuer Zielgruppen für seine Schule geht. Die vermeintlichen „Marokkaner“ mit ihren potentiell zahlreichen Kindern – Sami A. alleine hat schon vier –, waren mit Sicherheit so eine vielversprechende Zielgruppe. Kinder halten einen Verein am Laufen. 

In der Rückschau frage ich mich, ob der Meister tatsächlich nicht ahnte, mit wem er es da zu tun bekam. Daß der prekäre Stadtteil rund ums Dojo Hort radikaler Salafisten war, war jedenfalls durchaus Thema im Verein. Und Sami A. stand seit Herbst 2012 – nach einer kleinen Anfrage der damals noch oppositionellen CDU im NRW-Landtag und der darauf folgenden Berichterstattung in nahezu allen deutschen Medien – im  Licht der Öffentlichkeit. 

Ich selber ahnte es nicht, als ich rund anderthalb Jahre nach Sami A.s plötzlichem und schnell wieder verblaßtem Medienhype in die Karateschule kam. Die bürgerliche Vereinswelt schien mir in Ordnung. Die soziale Mischung stimmte. Migranten gehörten selbstverständlich dazu – und forderten auch keine Sonderbehandlung ein. Das änderte sich erst mit Sami A. und seinen vermeintlichen „Marokkanern“.

Deren Extrawurst und vor allem die große Bereitschaft, mit der sie ihnen vom Meister serviert worden war, weckten in mir erste Zweifel, ob dieser Verein der richtige für mich war. Doch die Zweifel ließen sich schnell wieder ad acta legen; genauso schnell wie „die Marokkaner“ ihr Interesse am anstrengenden Training verloren und stattdessen nur noch in die Sauna gingen. Bald darauf taten sie auch das nicht mehr. Allein Sami A. blieb und trainierte – als Weißgurt unter Schwarzgurten. Das wöchentlich wiederkehrende Ritual, mit dem der Meister Sami A. nach dem so oft beschworenen Schwarzgurt-Diplom aus der Heimat fragte und der ihn jedesmal mit dem Versprechen: „Nächste Woche bringe ich es mit“, vertröstete, entwickelte sich zu einem Running Gag, über den bald niemand mehr so recht lachen konnte.

Beim Duschen bin ich ihm tatsächlich nie begegnet während der gut anderthalb Jahre, in denen wir zeitgleich in Bochum trainierten. An Kontakt zu seinen „ungläubigen“ Trainingspartnern zeigte er allerdings durchaus Interesse – zumindest zu den männlichen. Ich erinnere mich daran, daß er mir einmal einen Händedruck geradezu abnötigte. Ich hielt ihn damals für einen kleinen Ganoven, der mir mal geheimnistuerisch angedeutet hatte, er habe am Telefon noch wichtige „Geschäfte zu erledigen“, über die er sich nicht näher auslassen wollte. Wer er wirklich war, ahnte ich nicht ansatzweise. Die Strategie, sich in einem Verein voller Jugendlicher und Kinder, zu einem Gutteil mit muslimischem Hintergrund, zu vernetzen, paßt zu einem Menschenfänger wie Sami A. 2012 hatte er mit Glaubensbrüdern bereits einen erfolglosen Versuch gestartet, eine salafistische „Begegnungsstätte“ im Stadtteil zu eröffnen, in der auch Nachhilfe für Jugendliche angeboten werden sollte.

Zu Jugendlichen hat Sami A. einen besonders guten Draht. Unter jungen Salafisten soll er als „religiöse Autorität“ und Vorbild an Tapferkeit gelten. Die Bundesanwaltschaft geht sogar davon aus, daß er zur Radikalisierung zweier Mitglieder der sogenannten „Düsseldorfer Zelle“, die 2011 einen großen Sprengstoffanschlag mit einer Splitterbombe geplant und vorbereitet hatte, wesentlich beigetragen hat. Ende 2014 wurden der Abiturient Amid C. aus Bochum und der Student Halil S. aus Gelsenkirchen mit zwei anderen dafür zu Haftstrafen verurteilt. Sami A. hingegen wurde einmal mehr nicht zur Verantwortung gezogen. 

Wie man Sympathien gewinnt, zeigen seine Auftritte als „Abu al Moujtaba“ auf seinem Youtube-Kanal „islambochum“. Dort predigte er mit sanfter Stimme und ab und an auch einem Lächeln die Lehren des Islam – und „Lebenshilfen“ wie: „Diejenigen, die an den Propheten glauben, sind deine Familie. Ungläubige sind nicht deine Familie, auch wenn es deine Frau ist, dein Sohn ist – spielt keine Rolle bei Allah.“ Seinen ausgeprägten Wunsch nach Anerkennung ließ Sami A. auch bei den überwiegend „ungläubigen“ Sportkameraden seines Karatevereins erkennen.

Im Lichte dieser Umstände erscheint mir der Anlaß des bereits erwähnten Händedrucks um so grotesker. Sami A. hatte nämlich – gewissermaßen in meiner Mannschaft – an einem Karatewettkampf für „Senioren“, also Menschen zwischen 30 und Methusalem, teilgenommen. „Master Cup“ nannte der sich, was deutlich euphemistisch und vielleicht sogar ironisch gemeint war angesichts der Zielgruppe „lebensälterer Wettkampfeinsteiger“ – also eigentlich eher Loser als Master. Wie auch immer: Sami A. und ich konnten beide bescheidene Erfolge bei sehr übersichtlicher Konkurrenz einfahren und bekamen dafür jeweils einen kleinen Plastikpokal in die Hand gedrückt. 

Ist die Abschiebung des Gefährders rechtens?

Für einen gefährlichen Faustkämpfer habe ich Sami A. nie gehalten. Aber was heißt das schon. Bei der Terrorausbildung im afghanischen Al-Qaida-Camp wurde auf den waffenlosen Kampf vermutlich kein besonderer Schwerpunkt gelegt. Ein Augenzeuge hat in einem deutschen Gerichtsverfahren berichtet, Sami A. habe Osama bin Laden einst mit der Panzerfaust beschützt. Und mit einer Panzerfaust auf der Schulter entwickeln auch untersetzte Typen von 1,65 Meter ziemlich gefährliche Fähigkeiten. 

Sami A.s gute Zeit in Bochum-Stahlhausen endete abrupt in der letzten Juni-Woche. Als er sich an jenem Montagvormittag wie jeden Tag aufmachte, um sich bei der Polizei zu melden, wurde A. fest- und in Abschiebehaft genommen. Sein bisheriges „Abschiebehindernis“ war vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) überraschend widerrufen worden. Sami A. klagte dagegen. Genützt hat es ihm nichts. Am Freitag morgen vergangener Woche wurde er per Flugzeug nach Tunesien abgeschoben.

Am selben Tag entschied das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen: A. hätte niemals abgeschoben werden dürfen. Es liege keine diplomatisch verbindliche Zusicherung der tunesischen Regierung vor, daß im Falle der Rückkehr keine Folter drohe. Im Idealfall sitze der Gefährder schon bald wieder im Flieger und komme zurück, so ein Gerichtssprecher.





Aus dem Terrorcamp ins Ruhrgebiet

Sami A. kam 1997 mit 21 Jahren als Student aus Tunesien nach Deutschland, studierte verschiedene technische Fächer zunächst in Krefeld, dann in Bochum. Von Ende 1999 bis Mitte 2000 absolvierte er der Bundesanwaltschaft zufolge eine paramilitärische Ausbildung im Al-Qaida-Terrorcamp „Al Farouk“ im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet von Kandahar. Anschließend soll er eine Zeitlang Kämpfer in der Leibgarde von Osama bin Laden gewesen sein. Im Sommer 2000 kehrte er zurück nach Köln, bis ihm die Domstadt 2004 die Aufenthaltsbewilligung nicht mehr verlängerte. 2005 zog er ins Ruhrgebiet nach Bochum, beantragte Asyl und klagte nach der Ablehnung erfolgreich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Sami A. heiratete eine in Deutschland eingebürgerte Tunesierin und bekam mit ihr vier Kinder. Der heute 42jährige lebte fortan von monatlich 1.167,84 Euro Sozialhilfe. 2006 hatte die Bundesanwaltschaft gegen ihn eine Anklage wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung erwogen, konnte ihren Verdacht aber nicht erhärten. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.