© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/18 / 20. Juli 2018

Überschattet von Zweifeln
Urteil im NSU-Prozeß: Die langen Haftstrafen können die Ungereimtheiten des langen Prozesses nicht übertünchen
Hinrich Rohbohm

Der wohl längste und aufwendigste Indizienprozeß in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist zu Ende. In der vergangenen Woche verhängte der Staatsschutzsenat im Münchner NSU-Prozeß sein Urteil gegen die Hauptangeklagte Beate Zschäpe sowie die Mitangeklagten Ralf Wohlleben, André E., Holger G. und Carsten S. 

Noch einen Tag vor der Urteilsverkündung hatten Zschäpes neue Verteidiger gegenüber den Medien erklärt, ihre Mandantin plane schon für ihre Zeit in Freiheit. Doch daraus wird für lange Zeit nichts. Denn das Gericht hat die gelernte Floristin zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Zudem stellte es die besondere Schwere der Schuld fest. Was bedeutet: Eine Aussetzung ihrer Haft auf Bewährung nach 15 Jahren ist äußerst unwahrscheinlich. Die Angeklagte dürfte für mindestens 20 Jahre, wahrscheinlich sogar noch länger hinter Gittern schmoren. Lediglich die von der Bundesanwaltschaft geforderte Sicherungsverwahrung sah der Staatsschutzsenat nicht als erforderlich an. 

Der Bundesgerichtshof ist am Zug

Das Gericht sieht es als erwiesen an, daß das sogenannte NSU-Trio, zu dem die Rechtsextremisten Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gehörten, neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft sowie die Polizistin Michèle Kiesewetter ermordete und darüber hinaus zwei Bombenanschläge mit Dutzenden Verletzten verübt hatte. Zwar gebe es keinen Beweis dafür, daß Beate Zschäpe an einem der Tatorte war. Aber: „Frau Zschäpe hatte eine maßgebliche Rolle bei der Tarnung des Trios gespielt“, sagte Richter Manfred Götzl in seiner Urteilsbegründung. Sie habe alles gewußt, alles mitgetragen und auf ihre eigene Art mitgesteuert und mit bewirkt. Zschäpe selbst hatte in ihrer erst Jahre später erfolgenden Einlassung über ihren Verteidiger verlesen lassen, sie habe erst im nachhinein von den Morden erfahren. 

Eine hohe Haftstrafe erhält auch Ralf Wohlleben. Wegen Beihilfe zum Mord muß der einstige NPD-Funktionär für zehn Jahre hinter Schloß und Riegel. Nach Auffassung des Gerichts war er der Waffenbeschaffer des NSU-Trios. Holger G. und André E. kommen glimpflicher davon. Beide werden nicht wie von der Bundesanwaltschaft gefordert wegen Beihilfe zum Mord verurteilt. Das Gericht sieht bei ihnen lediglich die Unterstützung des NSU als erwiesen an und verurteilte André E. daher lediglich zu zweieinhalb und Holger G. zu drei Jahren Haft. 

Carsten S., der während des Prozesses gestanden hatte, dem NSU die von Wohlleben besorgte Tatwaffe übergeben zu haben, erhielt wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen lediglich eine Jugendstrafe von drei Jahren. Zur Tatzeit war S. noch Heranwachsender. Zudem hatte ihm sein Geständnis ein erheblich geringeres Strafmaß eingebracht.

Das hätte vielleicht auch Beate Zschäpe haben können. Doch ihr Geständnis kam erst Jahre später mit dem Wechsel ihrer Verteidiger. Und ihre Einlassungen gaben ohnehin nur jene spärlichen Beweise wieder, die das Gericht im Verlauf der Verhandlung bereits zutage gefördert hatte. Für Zschäpe dürfte es sich jedoch als Fehler erwiesen haben, von der Schweigestrategie ihrer alten Anwälte abgerückt zu sein. Zu viele Ungereimtheiten hatten den Prozeß von Beginn an belastet, zu viele Spekulationen standen im Raum, die der Verteidigung in die Hände spielten und Zweifel an der Anklage aufkommen ließen. Allein schon die Rolle des Verfassungsschutzes ist mehr als dubios. 

Daß sich beispielsweise ein Mitarbeiter der Behörde nur rein zufällig aus rein privaten Gründen in jenem Kasseler Internetcafé aufgehalten haben soll, in dem einer der Morde erfolgte, wirkt kaum glaubwürdig. Daß dieser zudem weder einen Schuß gehört noch beim Verlassen des Cafés die hinter dem Tresen liegende Leiche bemerkt haben will noch weniger.

Gleich fünf Zeugen starben. An Zufall mag da kaum jemand denken. Auch konnten letzte Zweifel darüber, ob Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tatsächlich am 4. November 2011 Selbstmord verübten, nie vollständig ausgeräumt werden. Unklarheiten, die Nährboden für Spekulationen und Verschwörungstheorien lieferten.

 Schließlich war das Prozeßumfeld von Beginn an politisch aufgeladen. Mehrfach waren Regierungsvertreter aus der Türkei im Publikum zugegen, die den deutschen Rechtsstaat in Kommentaren und Stellungnahmen versuchten zu attackieren. Rechtsradikale witterten einen reinen Schauprozeß. Linksradikale sahen im NSU lediglich die Spitze eines weitaus größeren rechtsextremen Netzwerks, das der Staat nicht aufzudecken bereit sei. Letzteres klang auch bei nicht wenigen Anwälten der 60 Nebenkläger immer wieder durch. Die Bundesanwaltschaft hatte jedoch klargemacht, daß für weitere Anklagen aus dem Umfeld des NSU die Beweislage nicht ausreichend gewesen sei. 

Rechtskräftig ist das Urteil übrigens noch nicht. Sowohl die Zschäpe-Verteidiger als auch die Anwälte Wohllebens kündigten an, Revision einzulegen. Damit muß das Urteil erst vom Bundesgerichtshof überprüft werden. Und das kann dauern. Ein Ergebnis wird nicht vor 2020 erwartet. Dann befindet sich der Vorsitzende Richter, Manfred Götzl, der nun noch Vizepräsident des Münchner Oberlandesgerichts werden soll, bereits in Pension.