© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/18 / 20. Juli 2018

Ländersache
Ärger mit dem Mail-Postfach
Christian Schreiber

Zwei Jahre lang bemühte sich der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) nach Kräften, sich als Aufklärer und Mahner beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ins Szene zu setzen. Dieser Schuß ist nun ordentlich nach hinten losgegangen. 

Wie die Bild am Sonntag vergangene Woche berichtete, soll der Politiker vor gut einem Jahr ein umfangreiches E-Mail-Dossier erhalten haben. Darin schildert der Mitarbeiter einer Bamf-Außenstelle Unstimmigkeiten bei der dortigen Verfahrenspraxis. Unter anderem wird ein Anwalt namentlich genannt, dessen Asylanträge bevorzugt behandelt worden sein sollen. Zudem werden bundesweit organisierte Bustransporte von Asylbewerbern und ominöse Geldzahlungen detailliert aufgelistet.

Die FDP im Landtag  warf dem Innenminister vor, über die Zustände der Behörde sehr früh Bescheid gewußt zu haben, und forderte Aufklärung. Pistorius stand dann auch Rede und Antwort, allerdings präsentierte er eine Version der Geschichte, die man mit Fug und Recht als Provinzposse bezeichnen kann. 

Pistorius gab an, die Mail von der damaligen Bundestagsabgeordneten Michaela Engelmeier (SPD) zugespielt bekommen zu haben. Dies sei allerdings während seines Urlaubs geschehen. Er habe die Mail dann an eine Mitarbeiterin weitergeleitet. Ein solches Vorgehen sei gängige Praxis, wenn er im Urlaub sei. Er habe sie zur Auswertung schnellstens weitergeleitet, ohne den Anhang zu lesen. Nach einiger Zeit sei sie routinemäßig gelöscht worden. Normalerweise würden ihm weitergeleitete Mails nach seiner Rückkehr vorgelegt. Dies sei im betreffenden Fall aber nicht geschehen.  Das sei besonders ärgerlich, da es sich um einen so brisanten Vorgang handele, erklärte Pistorius der taz. „Der Vorwurf, ich hätte einen Verdacht auf fragwürdige Praktiken im Bamf vertuschen wollen, ist absurd.“  

Die FDP will sich damit aber nicht zufriedengeben. Möglicherweise handele es sich tatsächlich nur um einen menschlichen oder technischen Fehler, sagte FDP-Fraktionschef Stefan Birkner dem NDR. Aber es gebe zu viele Fragen, die der Minister noch nicht beantwortet habe. Beispielsweise seien im Ministerium noch nicht alle Stellen befragt worden. Der FDP-Innenpolitiker Jan-Christoph Oetjen sieht eine „große politische Sprengkraft“ des Vorgangs wegen des Zusammenhangs mit der damals bevorstehenden Bundestagswahl und der darauf folgenden niedersächsischen Landtagswahl. „Vielleicht hatte man die Sorge, daß eine Aufdeckung die AfD stärker macht“, sagte Oetjen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Pistorius’ Koalitionspartner von der CDU übt sich augenscheinlich in einer milden Beurteilung der Angelegenheit. Uwe Schünemann, immerhin ehemaliger Innenminister, hält die verschollene Mail für menschlich. „Das ist dem Minister glaube ich selber peinlich, aber es ist eben nicht so, daß man vermuten kann, daß da irgendwie Absicht dahintersteckt. Ich denke, die Sache ist ausgeräumt.“ Die Milde der Union könnte damit zusammenhängen, daß weitere Chaos-Meldungen über das Bundesamt dafür sorgen könnten, verstärkt Blicke auf das eigene Versagen zu richten. „Es war ein Elfmeter, den Pistorius nicht versenkt hat“, erklärt die niedersächsische Grünen-Fraktion.