© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/18 / 13. Juli 2018

Der Anfang vom Ende
Opel: Das deutsche Entwicklungszentrum steht auf der französischen Abschußliste
Christian Schreiber

Mit nur 243.715 Neuzulassungen und einem Marktanteil von 7,1 Prozent in Deutschland war Opel 2017 Schlußlicht der einheimischen Volumenmarken. 20 Jahre zuvor waren es noch mehr als doppelt soviel. Seit 18 Jahren – damals fiel der Absatz unter die Halbmillionenmarke – werden keine Gewinne mehr erzielt. Nun droht neues Ungemach. Laut einem Le Monde-Bericht denkt der französische Mutterkonzern PSA (Citroën, Peugeot) über einen Teilverkauf des Rüsselsheimer Entwicklungszentrums ITEZ nach: „Es sind Nachrichten, die auf der anderen Rhein-Seite sicher für Turbulenzen sorgen werden“, schreibt das Pariser Blatt.

Über eine Abspaltung seien schon Gespräche mit Interessenten geführt worden. PSA habe den Verkauf bestimmter Abteilungen angeboten. Davon könnten bis zu 4.000 der über 7.000 ITEZ-Beschäftigten betroffen sein. PSA-Konzernchef Carlos Tavares gilt als harter Sanierer. Im November 2017 wurde das Programm „Pace!“ für Opel präsentiert: Kosten drücken um jeden Preis, um bis 2020 wieder Profite einzufahren. Aber Forschung und Entwicklung seien das Herz der Marke Opel, warnt der Betriebsrat. Mit einem ITEZ-Verkauf nehme man dem Autohersteller die Zukunft. Doch die Zeiten der bahnbrechenden Opel-Erfindungen sind lange her: 1934 wurde die selbsttragende Ganzstahlkarosserie – die Voraussetzung der Sicherheitsfahrgastzelle – als Reichspatent 745079 bestätigt. 1935 folgte das Reichspatent 765899: die Bandmontagemethode „Hochzeit“ – die Vereinigung von Karosserie mit Fahr- und Triebwerk. 1972 war Opel mit 21 Prozent deutscher Marktführer. 1996 verzeichnete Opel mit 557.229 Neuzulassungen in Deutschland das erfolgreichste Jahr seiner Geschichte.

Nur eine andere Marke, um PSA-Autos zu verkaufen?

Opel-Chef Michael Lohscheller konnte die Befürchtungen der ITEZ-Beschäftigten nicht zerstreuen. PSA prüfe unterschiedliche Optionen, wie „eine nachhaltige und erfolgreiche Aufstellung im Entwicklungszentrum“ erreicht werden könne. Le Monde nannte den französischen Entwicklungsdienstleister Altran als möglichen Käufer. Gespräche habe es zudem mit den französischen Firmen Akka und Segula sowie mit Bertrandt im schwäbischen Ehningen gegeben.

Seit 1929 hing der Autobauer am Gängelband von General Motors (GM). Die zweite Weltfinanzkrise führte 2009 zur Notverstaatlichung von GM und zum ersten Verkaufsangebot für Opel. Doch die Konzernlenker in Detroit gaben Opel noch eine Gnadenfrist. Erst im Sommer 2017 kam es zum Verkauf an PSA. Ob unter französischer Regie nun das gelingt, was dem amerikanischen Weltkonzern GM – der Nummer drei hinter Toyota und VW – mißlang?

Der deutsche Opel-Verkaufsschlager Astra ruht auf einer ITEZ-Plattform, die auch von Chevrolet und Buick genutzt wird, der Insignia wird mit technisch-optischen Retuschen in den USA sogar als Cadillac gebaut. Der beliebte, in Spanien montierte Klein-SUV Mokka X teilt sich die Basis mit baugleichen GM-Modellen, die in China, Südkorea, Rußland und Weißrußland gefertigt werden. Für jedes Opel-Modell gibt es ein Citroën/Peugeot-Pendant. Die SUV Crossland/Grandland X sind schon aufgehübschte Peugeot 2008/3008 mit Opel-Blitz.

Doch PSA ist auch mit Opel gerechnet nur der global neuntgrößte Autoproduzent. Zwei große Entwicklungszentren sind da wohl zuviel. Dabei hatte die Opel-Führung erst Ende Mai eine umfassende Beschäftigungssicherung bis 2023 zugesagt – gegen Lohneinbußen. Nur 3.700 der rund 19.000 Opelaner an den deutschen Standorten müssen gehen: auf freiwilliger Basis über Abfindungs- und Vorruhestandsprogramme.

Dem ITEZ wurden mehr Aufgaben versprochen. Ohne die weggefallenen GM-Aufträge wäre es unrentabel. Laut Le Monde stehen Fahrzeug- und Antriebs­entwicklung sowie der Werkzeugbau und sogar die Teststrecke zum Verkauf. Die hochqualifizierten Opel-Ingenieure haben europaweit gesehen sicher beste Arbeitsmarkt-Aussichten. Aber der Verkauf „der Herzkammer“ könnte langfristig das Ende der Marke Opel bedeuten: „Wir wären dann nur noch eine Hülle ohne Inhalt“, warnt Betriebsratschef Wolfgang Schäfer-Klug.

Opel-Mitarbeiterseite „WIR Gemeinsam“:  www.wir-gemeinsam.eu