© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/18 / 13. Juli 2018

Der Ruhestand in Gefahr
EZB-Politik: Die Schieflage vieler betrieblicher Pensionskassen hat sich verschärft / Kürzung von Ansprüchen?
Dirk Meyer

Die kapitalgedeckte Alterssicherung galt in Zeiten hoher Zinsen bei sicherer Anlage und schrumpfender Arbeitsbevölkerung gegenüber einem auch politisch unsicheren Umlageverfahren als besonders aussichtsreich. Darüber hinaus machte eine Entlastung bei Steuern und Sozialbeiträgen die Altersvorsorge attraktiv. Die demographisch bedingte Unsicherheit der Gesetzlichen Rentenversicherung und Zweifel an der Finanzierbarkeit künftiger Pensionsverpflichtungen sind geblieben, gleichzeitig sind jedoch die Zinsen stark gesunken. Die Anleiherisiken nehmen bei erneut aufflammender Eurokrise und perspektivisch steigenden Zinsen zu.

Eine höhere Lebenserwartung und nicht mehr erfüllbare Garantiezinsen machen die Kalkulationen der Vergangenheit obsolet. Zudem wurde die staatliche Förderung teils stark reduziert. Ergebnis: Kapitallebensversicherungen und Pensionskassen stecken in der Krise. Für die Betroffenen stellt sich nicht nur das Problem der Einhaltung von Zusagen, sondern zunehmend auch die Frage des Insolvenzschutzes der Vorsorge.

Einen erheblichen Anteil der Schuldzurechnung trifft die Europäische Zentralbank (EZB). Bei einer Bilanzsumme von 4,7 Billionen Euro wird das seit März 2015 laufende, hauptsächlich auf Staatsanleihen zielende Wertpapier-Ankaufprogramm bis September 2018 2,55 Billionen Euro umfassen. Das sind 55 Prozent der Zentralbank-Geldmenge. Die Wirkung dieses „Gelddruckens“ ist umstritten. Der beabsichtigte Effekt auf die Inflation blieb – bislang – aus.

Vielmehr fließt das Geld in die Immobilien- und Aktienmärkte, um dort eine Vermögenspreisinflation zu entfachen (JF 23/18). Auch die Wirkung auf den Zins ist umstritten. Nach den wenigen hierzu existierenden Studien ist der Rückgang eher gering und wird für die zehnjährige Bundesanleihe mit rund einem Prozentpunkt angegeben. Demgegenüber sehen David Folkerts-Landau und Stefan Schneider (Deutsche Bank) einen negativen Zinseffekt von vier bis sechs Prozent und sprechen deshalb von einer „Enteignung der Sparer und Blasenbildung“ an den Finanzmärkten.

Es gibt fünf Formen der betrieblichen Altersversorgung. Für 7,8 Millionen Personen und damit etwa die Hälfte der Ansprüche liegen Direktzusagen (1) vor. Hier verpflichtet sich der Arbeitgeber, eine Betriebsrente aus dem Betriebsvermögen zu zahlen und bildet dafür Rückstellungen. Die Erträge fließen aus der Wirtschaftskraft des Unternehmens, sind bei einer boomenden Konjunktur gesichert und von den Niedrigzinsen nicht betroffen. Die Ansprüche sind zudem durch den Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG) abgesichert.

Bei einer Direktversicherung (2) als drittgrößte Gruppe schließt der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer eine Lebens- oder Rentenversicherung zugunsten seiner Beschäftigten ab. Wurden auf diesem Wege für 30 Jahre monatlich 100 Euro – insgesamt 36.000 Euro – eingezahlt, so stand bei einem Jahresdurchschnittszins von 5,66 Prozent bei Rentenbeginn 2006 ein Kapital von 94.474 Euro zur Verfügung. Bei Renteneintritt 2018 sind es nur noch 72.889 Euro (Zins von 4,23 Prozent).

Änderungen für künftige Zusagen

Noch schlechter sieht die Entwicklung für zukünftige Ruheständler aus. Pensionskassen (3) stellen mit etwa 25 Prozent der Deckungsmittel die zweitgrößte Gruppe. Diese Versorgungseinrichtungen werden von einem oder mehreren Unternehmen gebildet und sind spezielle Lebensversicherungen.

Davon zu unterscheiden sind Pensionsfonds (4) als rechtlich selbständige Versorgungseinrichtungen. Anders als Direktversicherungen und Pensionskassen sind Pensionsfonds freier in der Wahl ihrer Geldanlagen. Sie können deshalb den niedrigen Renditen ausweichen, allerdings um den Preis höherer Risiken. Auch sie gehören dem PSVaG an.

Unterstützungskassen (5) sind Versorgungseinrichtungen, die das von den Firmen eingezahlte Kapital möglichst gewinnbringend anlegen, um daraus später die Betriebsrenten auszuzahlen. Sollten die Leistungen die Ansprüche der Arbeitnehmer nicht decken können, muß der Arbeitgeber die Differenz ausgleichen. Zusätzlich bietet der PSVaG einen Insolvenzschutz. Außer den Direktzusagen unterliegen alle betrieblichen Altersversorgungen der Versicherungsaufsicht BaFin.

Direktzusagen erreichen infolge der guten wirtschaftlichen Entwicklung und eines aktuell leicht erhöhten Kalkulationszinssatzes einen als ordentlich zu bewertenden Deckungsgrad von 68 Prozent. Pensionsfonds weichen auf ertragreichere, aber riskantere Aktienanlagen aus, was negative Überraschungen zukünftig nicht ausschließt. Erheblich schlechter sieht es aktuell insbesondere bei den Pensionskassen aus. Deren Erträge beruhen auf relativ sicheren, aber niedrigverzinsten Anleihen. Seit 2014 haben verschiedene Kassen ihre Verrentungsfaktoren zuungunsten der Versicherten vermehrt angepaßt. Waren es von 2007 bis 2013 lediglich zehn Fälle, stieg die Zahl auf 17 in den folgenden vier Jahren. 2017 senkten 27 Pensionskassen für künftige Beiträge ihren Rentenfaktor ab.

Hierbei handelt es sich ausschließlich um Änderungen für künftige Zusagen, die mehrheitlich von den beteiligten Unternehmen zu beschließen sind. Zur Kürzung bereits laufender Ansprüche scheint es bis auf eine Ausnahme nicht gekommen zu sein. Allerdings bestehen entsprechende Überlegungen. Einige Pensionskassen werden ihre bereits eingegangenen Verpflichtungen ohne Nachschüsse der Arbeitgeber kaum mehr aufrechterhalten können. Ein Drittel der 137 deutschen Pensionskassen wurden von der BaFin deshalb „in Manndeckung genommen“. Voraussetzung für die Einhaltung wären Nachschüsse der Arbeitgeber, die aber deren Zahlungsfähigkeit voraussetzt. Ähnliches gilt im übrigen für den PSVaG bei Großschäden. Sind diese „Kollateralschäden“ der Geldpolitik noch verhältnismäßig?






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Jahresbericht der BaFin 2017:  www.bafin.de





Diskussion um die Riester-Rente

Etwa drei Milliarden Euro jährlich müssen die Steuerzahler aufwenden, um die private Riester-Rente für Arbeitnehmer attraktiv aussehen zu lassen. Laut Versichererverband GDV sind so seit 2001 rund 25 Milliarden Euro an die Branche geflossen. Dennoch wird das Produkt nicht einmal von einem Drittel der 35 Millionen Förderberechtigten genutzt. „Die Zahl der Verträge lag Ende 2017 bei 16,5 Millionen“, erklärt Verbraucherexpertin Kornelia Hagen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Jeder fünfte Vertrag ruhe. „Da eine Person mehrere Verträge abschließen kann, ist die Zahl der Geförderten noch geringer. Von Ende 2016 rund elf Millionen Geförderten erhielt nur etwas mehr als die Hälfte die volle Förderung, fast 20 Prozent sogar weniger als die Hälfte.“ Der niedrige Garantiezins von 0,9 Prozent (2001: 3,25 Prozent) sowie hohe und intransparente Vertriebs-, Abschluß- und Verwaltungskosten erklärten die geringe Nachfrage, so Hagen. (fis)

Diskussionsbeitrag „Mängel der Riester-Rente“ in DIW Wochenbericht 23/18  www.diw.de