© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/18 / 13. Juli 2018

Von der Gesellschaft verharmlost
Linksextremismus: Ein Jahr nach den G20-Krawallen wird in Berlin über eine unterschätzte Gefahr diskutiert
Björn Harms

Besucher des ehemaligen Stasi-Gefängnisses Hohenschönhausen mußten am Donnerstag abend vergangener Woche strenge Einlaßkontrollen über sich ergehen lassen. Polizeifahrzeuge bewachten die Zugangswege, auffällig unauffällig patrouillierten breitschultrige Zivilpolizisten neben dem Eingangstor. Rein kam nur, wer auf der Gästeliste stand.

Ein Jahr nach den schweren Krawallen beim G20-Gipfel in Hamburg hatte die Gedenkstätte im Osten Berlins zur Diskussionsrunde geladen. Die zu beantwortende Frage: Ist der Linksextremismus eine unterschätzte Gefahr? Die nötige Anzahl an Sicherheitskräften zeige zumindest, daß man sich mit derartigen Veranstaltungen „nicht gerade sonderlich beliebt macht“, wie es Gedenkstättenleiter Hubertus Knabe in seiner Eröffnungsrede vorsichtig formulierte. 

So hatte auch die Berliner Antifa unter dem Motto „Die extreme Mitte stören! – Solidarität mit den NoG20-Gefangenen!“ zu Protesten gegen die „reaktionäre Veranstaltung“ aufgerufen. Rechte und Konservative sollten aufhören „rumzuopfern“, die G20 Demonstrationen seien legitim gewesen. Knabe nutzte die Gelegenheit, um ein Gespräch mit den rund 25 jungen „Antifaschisten“ vor dem Gebäude zu suchen – ohne Erfolg. Das Angebot, an der Diskussionsrunde teilzunehmen, schlugen sie aus. Schließlich sei die Einladung zu spät gekommen, um sich darauf vorzubereiten, so die halbherzige Rechtfertigung. 

Doch auch die Gästeliste unterstrich die Brisanz des Abends. Neben dem üblichen Stammpublikum, Mitgliedern des Fördervereins und Journalisten, trafen hier bekannte Persönlichkeiten der linken Szene auf Sympathisanten der AfD – die ihre gegenseitige Abneigung auch während der anschließenden Podiumsdiskussion kaum verheimlichten. 

Man stelle sich vor, Rechte hätten randaliert

Die begann mit einem schauderhaften Erlebnisbericht. Ein Jahr nun ist es her, daß Chaoten den Drogeriemarkt von Cord Wöhlke im Hamburger Schanzenviertel plünderten und anschließend komplett zerstörten. Der Sachschaden: 400.000 Euro. Die Bilder der schweren Krawalle lassen ihn bis heute nicht los. So berichtete er von „blinder Zerstörungswut“ und Zuständen wie im „Bürgerkrieg“. Die Bewohner des Schanzenviertels hätten sich an diesem Abend alleine gelassen gefühlt.

Das konnte der Bundesjugendvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Niels Sahling, nur allzu gut nachvollziehen. Der gebürtige Hamburger war am Abend des 7. August 2017 während der Straßenschlachten im Einsatz. Daß „seine Stadt“ so leiden mußte, habe ihm im Herzen wehgetan, erklärte er. Vor allem von den leeren Verprechungen der Politik zeigte er sich enttäuscht.

Viele Hamburger Politiker hatten nach den Ausschreitungen Besserung gelobt, teilweise sogar um Entschuldigung für das Geschehene gebeten. Mit dem Zentrum des Linksextremismus, der „Roten Flora“, werde künftig anders umgegangen werden, versprachen sie. Die CDU forderte gar die Schließung. Passiert ist seitdem nicht viel. Die Bewohner der „Roten Flora“ lehnen einen öffentlichen Gewaltverzicht noch immer ab. Hamburgs Oase des Unfriedens gilt somit weiterhin als rechtsfreier Raum.

Die Gesellschaft verharmlose den Linksextremismus, befand deshalb auch der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesinnenministerium, Stephan Mayer (CSU). Er schlug ein Gedankenspiel vor. Man stelle sich vor, nicht Linksextreme, sondern Rechte hätten in Hamburg randaliert. Die Folge wären „monatelange Lichterketten und Protestmärsche“, so Mayer. Die Verniedlichung der Problematik müsse deshalb aufhören. Aber wenn „eine Familienministerin der Meinung ist, Linksextremismus sei ein ‘aufgebauschtes Problem’, dann braucht man sich auch nicht zu wundern“, ärgerte sich Mayer über die Aussage von Manuela Schwesig (SPD). 

Der SPD-Abgeordnete des Berliner Landesparlaments, Tom Schreiber, pflichtete ihm bei: „Es gibt eine andere Gewichtung in der Gesellschaft.“ Eine Tabuisierung dürfe es jedoch nicht geben, Präventivangebote wie in der Gedenkstätte Hohenschönhausen seien zu fördern. Die Hardliner könne man sowieso nicht mehr ansprechen, es gelte, sich um die Mitläufer zu kümmern. Schreiber spricht dabei aus eigener Erfahrung. Seit Jahren schlägt er härtere Maßnahmen gegen die linksextreme Szene in Berlin vor und wurde somit zum Feindbild Nr.1, seine Familie ist zahlreichen Drohungen ausgesetzt. Trauriger Höhepunkt: Auf der linksradikalen Internetplattform Indymedia wurde die Falschmeldung verbreitet, Schreiber habe Suizid begangen. 

Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt sezierte derweil den Opfermythos der linken Randalierer. „Nicht wir sind gewalttätig, sondern wir wehren uns lediglich gegen die strukturelle Gewalt“, sei die gängige Argumentation der Linksextremisten. Sie allein wüßten, was gut für die Gesellschaft ist.

So waren sich die Teilnehmer der Podiumsdiskussion in den Kernpunkten schnell einig: Ja, Linksextremismus sei jahrelang unterschätzt worden. Und ja, es gebe eine Schieflage in der Finanzierung von Präventivmaßnahmen gegen Linksextremismus, verglichen mit den Summen gegen Rechtsextremismus.