© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/18 / 13. Juli 2018

Transit, Transfer und Transpirieren
Asylpolitik: Horst Seehofer hat nun offiziell seinen „Masterplan“ vorgestellt / Von der Realität längst überholt
Paul Rosen

Es sind diese Nebensätze, vorgetragen mit den für Horst Seehofer typischen Zischlauten und einem aufgesetzten Lächeln, das allerdings seit geraumer Zeit gequält wirkt. Diese Nebensätze tragen eine wichtige Botschaft, serviert im Vorbeigehen. Am vergangenen Dienstag ließ Seehofer bei einem Pressegespräch im Berliner Innenministerium wieder einen dieser Sätze los: „Der Abschluß des Masterplans wird möglicherweise nicht mit dem Abschluß meiner Amtsperiode zusammenpassen.“ Es braucht nicht viel Kenntnis von der langsamen Arbeitsweise der Behörden gerade im Asyl- und Ausländerwesen, um zu wissen, daß hier einer das Maßband schon in der Tasche hat. Seehofers Zeit läuft, vielleicht läuft sie auch bald schon ab. 

Die Vorstellung seines seit Wochen wie eine Monstranz gehüteten Masterplans brachte doch noch eine nicht erwartete Überraschung. Seehofer servierte den Plan mit Stand Anfang Juli, der somit hinter der jüngsten Einigung der Koalition zurückblieb. Von Transitzentren ist in dem Masterplan die Rede, die mit der SPD nicht zu machen sind und die vor allem von vom damaligen Justizminister Heiko Maas (SPD) als „Haftzonen“ vehement abgelehnt worden waren. Selbst Seehofer hatte in den vergangenen Tagen aus Rücksicht gegenüber der SPD lieber von „Transferzentren“ an der Grenze gesprochen und davon, daß nur wenige Flüchtlinge dort hineinkommen und schnellstmöglich in andere Einrichtungen, zum Beispiel am Münchener Flughafen, transportiert werden sollten. So hatte sich auch Kanzlerin Angela Merkel geäußert. Mit leicht spöttischem Unterton in der Stimme ließ er auf Fragen hin wissen, das Festhalten an dem alten Begriff sei keine Provokation. Der Plan sei in seiner Verantwortung entstanden und am 4. Juli fertiggestellt worden – pikanterweise ist das ein Tag vor der Einigung mit der SPD. Damit war die ganze Präsentation der Seehoferschen „Asylwende“ nichts anderes als eine Provokation. 

Inhaltlich sieht der Masterplan vor, an der bayerisch-österreichischen Grenze ein „neues Grenzregime“ zu errichten, um Asylbewerber, für deren Verfahren andere EU-Staaten zuständig seien, an der Einreise zu hindern. Seehofer sagte, mit der Republik Österreich gebe es eine Einigung, daß Österreich jeden Migranten zurücknimmt, der dort einen Asylantrag gestellt habe. „Wir richten dafür Transitzentren ein, aus denen die Asylbewerber direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden“, heißt es entsprechend im Masterplan. Damit ist auch dessen Schwachstelle – ganz unabhängig von den Reaktionen der SPD und der CDU – markiert: Die Reduzierung auf die bayerisch-österreichische Grenze zeigt, daß der Masterplan dem bayerischen Landtagswahlkampf geschuldet ist. Und Vertragsverhandlungen mit den anderen EU-Staaten werden dauern – auf jeden Fall länger als bis zum 14. Oktober, dem Tag der bayerischen Landtagswahl. Vieles andere in dem Masterplan ist ein Sammelsurium von Allgemeinplätzen und Altbekanntem, etwa die Ankündigung von verbesserten Grenzkontrollen an den Schengen-Außengrenzen und die Steigerung von „Effizienz, Geschwindigkeit und Qualität von Asylverfahren“. Letzteres hörte man bereits, als der Bundesinnenminister noch Friedrich Zimmermann (CSU) hieß. Und daß jetzt Personen an der Binnengrenze zurückgewiesen werden sollen, gegen die ein Einreise- oder Aufenthaltsverbot für Deutschland besteht, ist eine Selbstverständlichkeit, auch wenn vor allem die SPD, aber auch Teile der CDU das anders sehen. Bei Innenpolitikern der CDU wie den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Stephan Harbarth fand Seehofer Unterstützung: Was Seehofer wolle, werde „in allen Teilen unterstützt“. 

In München wird Nervosität zu Panik

Ob Seehofer nach der Streitbeilegung von CSU und CDU die Unterstützung der Kanzlerin hat, muß bezweifelt werden, wie ein Detail von der EU-Ebene zeigt. Seehofer hatte der Kommission einen Brief geschrieben, in dem er fordert, auch nach dem Austritt Großbritanniens müsse die Zusammenarbeit mit dem Land eng bleiben, und die Sicherheitslage der Bürger dürfe sich nach dem Brexit nicht verschlechtern. Daraufhin hatte sich der Leiter der politischen Abteilung der deutschen Vertretung bei der EU, Thomas Eckert, von Seehofers Schreiben im Namen der Bundesregierung gegenüber der EU distanziert. Die Brüskierung eines deutschen Ministers im Ausland durch einen Beamten der Bundesregierung ist ein ungeheuerlicher Vorgang, der Konsequenzen hätte haben müssen. Doch es passierte – nichts. 

Beim Koalitionspartner SPD hat Seehofer ohnehin keine guten Karten. „Wir reden über keinen anderen Masterplan als den Koalitionsvertrag“, fertigte SPD-Vize Ralf Stegner in gewohnt brüskierender Art den Innenminister ab. Moderater, aber dennoch klar in der Sache, äußerte sich SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil: Herr Seehofer hat aus dem Koalitionsvertrag und seit letzter Woche genügend Aufträge, die er abarbeiten muß. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“

In München wird derweil aus Nervosität Panik. Nachdem jüngste Umfragen der CSU noch 38 Prozent bescheinigen, erklärte Ministerpräsident Markus Söder, diese Umfragen seien nur eine „Widerspiegelung von Berliner Werten“ und hätten nichts mit Bayern zu tun. Er glaubt immer noch an den Paradigmenwechsel der Union in der Flüchtlingspolitik: „Auf jeden Fall drängt es die AfD zurück.“ Seehofer selbst scheint nicht mehr so recht daran zu glauben, wie die Äußerung über seine Zukunft zeigt.