© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/18 / 13. Juli 2018

Nach dem Asyl-Kompromiß
Pyrrhus-Sieg der Kanzlerin
Dieter Stein

Kurz vor der Sommerpause reibt sich das Publikum die Augen: Der Asylstreit der Großen Koalition – gelöst? Alles nur ein kurzer Sturm im Wasserglas? Eben noch ein Land im Zustand kollektiver Erregung, jetzt wieder Hinübergleiten ins beschauliche Sommerloch? Nach dem erschüttertenden Mord an einem 14jährigen Mädchen  durch einen Asylbewerber in Wiesbaden Anfang Juni hatte die Zeit noch dramatisch getitelt: „Ein Mord, der etwas ändern muß“, der Stern mit einem blutroten Kopf der Bundeskanzlerin „Das Zerrissene Land – Der Mordfall Susanna F. und das Ende von Merkels Flüchtlingspolitik“.

Und jetzt? Was hat sich geändert? Der Stern huldigt Merkel mit einem Titel, der eine triumphierende Kanzlerin zeigt: „Die Kämpferin – Wie Angela Merkel ihre Macht verteidigt, und wie sie jetzt weiterregieren will“. Gestern fast durch die Brust geschossen, heute wieder auf stolzen Rossen – so könnte man den Volksmund umdrehen. Die Steherqualitäten der CDU-Vorsitzenden im Machtkampf mit Horst Seehofer feiert in der FAZ Volker Zastrow („Seehofer ist der Verlierer“) begeistert als Sieg im Wettstreit von Halbstarken, die in zwei Autos aufeinander zurasen und wo derjenige verliert, der als erster ausweicht: „Im ‘Chicken game’ war es Seehofer, der einlenkte. Merkel hat nicht gezuckt.“

Merkel wirklich fest im Sattel? Vordergründig scheint es so. Mit einem waidwunden Seehofer an ihrer Seite, der am Dienstag der Presse einen „Masterplan Migration“ vorstellte, bei dem er sich provozierend nicht einmal die Mühe machte, die weichgespülten Kompromiß-Begriffe einzusetzen: Papierkorb-Politik als Symbol einer Regierung ohne Führung. Es dürfte also ein Pyrrhus-Sieg sein, den Merkel hier erreicht hat. Sie bezahlt ihr Obsiegen über Seehofer und die CSU mit weiterer Schwächung, Entkernung der Union und vor allem mit der andauernden Beschädigung des Landes.

Die aktuellen Meinungsumfragen weisen auch schon den Preis aus, den die Parteien der Großen Koalition mit ihrer erneut demonstrierten Handlungsunfähigkeit in Sachen Asyl und Migration zahlen. Im Bund liegen Union und SPD nur mehr bei 47 Prozent, in Bayern sackt die CSU bei der Sonntagsfrage zur Landtagswahl auf 38 Prozent ab, die SPD ist dort nur mehr viertstärkste Partei mit zwölf Prozent. Hier wie dort legt die AfD auf neue Rekordwerte zu. Bei der jüngsten Umfrage von Insa zog die Partei mit 17,5 Prozent im Bund sogar erstmals an der SPD (17 Prozent) vorbei.

Die Botschaft wird bei vielen Wählern angekommen sein: Erst seitdem es wachsende Wählerwanderungen weg von den etablierten Parteien hin zur AfD gibt, wird die fehlgeleitete Asylpolitik offener diskutiert. Doch es bedarf anscheinend noch weiterer schwerer Wahlniederlagen für die Etablierten, bis eine grundlegende politische Wende eingeleitet wird.