© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/18 / 06. Juli 2018

Keine Rede von Sprachverfall unter Schülern
Lockere Normalität
(wm)

Populärwissenschaftliche Sprachkritik betrachtet die deutsche Sprache als geschlossenes System, das durch Wandlungsprozesse gefährdet ist. Daher setze sie Sprachwandel meist mit drohendem Sprachverfall gleich. Im Gegensatz zu diesem „Sprachkonservatismus“ sehe die wissenschaftliche Linguistik Veränderung in der Sprache als natürlichen Prozeß, der für das Deutsche „vor dem Hintergrund sich wandelnder kommunikativer Herausforderungen unabdingbar ist“. Daher betrachten Linguisten die Standardsprache nur als eine Varietät unter zahlreichen anderen, während populärwissenschaftliche Sprachkritik sie für die einzige richtige hält und Fehler als Abweichungen von der Norm auffaßt. Die Schüler selbst nehmen in diesem Disput eine eher entspannte Haltung ein, wie die Gymnasiallehrerin Verena Lüthje aufgrund einer Befragung von 753 Schülern an schleswig-holsteinischen Gymnasien behauptet (Der Deutschunterricht, 2/2018). Bei „durchaus hohem Bewußtsein“ für Sprachveränderungen verwenden sie gruppenspezifische Soziolekte (Slang) ebenso wie Anglizismen. Trotzdem blieben sie auffällig stark den Normen der Standardsprache verpflichtet. Für Lüthje schon viel zu stark, denn ihr wäre es lieber, die Kieler Unterrichtsrichtlinien würden endlich besser umgesetzt, die empfehlen, dieses mit der populären Sprachkritik konvergierende „starre Normverständnis“ aufzulösen. 


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