© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/18 / 06. Juli 2018

Nur die halbe Wahrheit
Myanmar: Die westliche Darstellung des „Rohingya“-Konflikts ist bisweilen einseitig / Islamistischer Terrorismus wird weitgehend ausgeblendet
Marco F. Gallina

Die Krise im Rakhaing-Staat, einer der 15 Verwaltungseinheiten von Myanmar, hat den Bundestag erreicht. Anfang Juni rief das deutsche Parlament die Regierung von Myanmar dazu auf, die „Gewaltexzesse gegen die Rohingya“ zu stoppen. Gleich mehrere Redner sprachen von einem „Genozid“ oder von „Säuberungen“ gegen die moslemische Bevölkerung im Rakhaing-Staat, begleitet von Massenvertreibungen durch das Militär.

Wie sehr nicht nur die Medien, sondern auch die Politik hinsichtlich der Rakhaing-Krise in einem Schwarz-Weiß-Schema gefangen ist, veranschaulicht auch die Nichtbeachtung der Botschaft von Myanmar in Deutschland. Denn Botschafterin Daw Yin Yin Myint war über die Debatte schlichtweg nicht informiert, keine der Bundestagsfraktionen fragte sie an.

CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne beratschlagten demnach im Außenausschuß eine Gesetzesvorlage, die sich gegen Myanmar richten sollte, ohne dies einer Vertreterin des Landes mitgeteilt zu haben. Die außenpolitische Expertise der deutschen Politik ruft Erinnerungen an frühere Konfliktherde wach: Schon bei der Ukraine-Krise im Jahr 2014 und dem Syrischen Bürgerkrieg (seit 2012) waren Freund und Feind sofort klar.

„Rohingya“ war ursprünglich kein ethnischer Begriff

Daß jedoch die Rohingya nicht Opfer einer willkürlichen Militäroperation sind, mußte kürzlich selbst Amnesty International eingestehen. Monatelang hatte die NGO Menschenrechtsverletzungen des birmanischen Militärs angeprangert. Daß diesen Operationen Massaker gegen Buddhisten und Hindus von seiten islamischer Terroristen und Rohingya-Bauern vorausgingen, bestätigte Amnesty dagegen erst Anfang Juni. 

Auf das Konto der islamistischen ARSA (Arakan Rohingya Salvation Army) gingen Vertreibungen, Versklavungen sowie über 100 Todesopfer. Zuvor hatte die Terrororganisation bereits in einer konzertierten Aktion 30 Grenzposten von Militär und Polizei überfallen. Neun birmanische Einsatzkräfte kamen dabei ums Leben. Die Attacken auf nichtmoslemische Zivilisten und staatliche Einrichtungen erfolgten im Zeitraum vom 25. bis 28. August 2017. Der Westen nahm anschließend die Repressionen wahr, nicht aber, daß Myanmar das Leben seiner eigenen Staatsbürger schützte.

Dabei handelt es sich nicht um die erste islamische Attacke auf Myanmar. Bereits ein Jahr zuvor, im Oktober und November 2016, hatte die Rohingya Solidarity Organisation (RSO) Attacken auf staatliche Stellen verübt. Deren Anführer Havid Tuhar wiegelte in mehreren Propagandavideos die Rohingya zum Widerstand auf. Die Gemeinsamkeiten zwischen RSO und ARSA mit bekannten islamischen Terrorgruppen wie al-Qaida oder dem Islamischen Staat sind frappierend.

Tuhar soll genau wie Hunderte weitere Kämpfer sein Training in einem Taliban-Camp in Pakistan erhalten haben. Der Anführer der ARSA, Ata Ullah, ist Pakistaner und erhielt seine Ausbildung in Saudi-Arabien. Die Regierung von Myanmar betonte mehrfach, daß von dort Geldströme direkt zu den Terroristen flössen. RSA und ARSA könnten sich auf ein Netzwerk von Rohingya-Emigranten in Saudi-Arabien verlassen.

Botschafterin Myint bemerkte, daß Myanmar nach den Philippinen und Thailand ein weiterer „Frontstaat“ bei der Ausbreitung des internationalen islamischen Terrorismus in Südostasien geworden sei. „Der Terrorismus ist real“, sagte sie und bedauerte die einseitige Sichtweise im Westen. Myanmar hatte 2016 mit der Kofi-Annan-Kommission ein internationales Team aus Experten berufen, um eine Lösung für die Probleme in der Rakhaing-Region zu finden. Den Schlußbericht legte die Kommission am 25. August 2017 vor – am selben Tag begann die ARSA mit ihren Attacken.

Fraglich bleibt auch die Darstellung, birmanische Militärs hätten Hunderttausende Moslems aus der Region vertrieben. Die Migrationsbewegungen liefen weniger systematisch ab, als von vielen Seiten behauptet, stellte der Historiker Jacques Leider fest. Die Ankunft des Militärs habe zu Gerüchten und Panik bei den Moslems geführt. Diese seien dann geflohen, „zum Teil ohne genau zu wissen, was vor sich geht“. Zudem sei es schwierig, die genaue Identität der Rohingya zu umreißen – noch in den 1990ern handelte es sich um keinen Ethniebegriff, sondern eine Sammelbezeichnung für verschiedene Aufständische. Erst ab 2012 drängten Aktivisten die moslemische Landbevölkerung, sich selbst „Rohingya“ zu nennen.

Myanmar lehnt es bis heute ab, sie als eigene Ethnie anzuerkennen, sondern stuft sie als Bengalis ein. Eine Lockerung des restriktiven Staatsbürgerschaftsrechts kann Myanmar angesichts der überbevölkerten Nachbarländer Bangladesch, Indien und China aus realpolitischen Erwägungen nicht zulassen, will es seine eigene Identität nicht aufgeben.

Bundesregierung und die Mehrheit der Bundestagsfraktionen stört diese komplexe Gemengenlage in Südostasien dagegen nicht. Stattdessen hat Deutschland 40 Millionen Euro im Zuge der Rohingya-Hilfe zugesagt.