© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/18 / 29. Juni 2018

„Schatz, ich geh’ dann mal den Hund massieren lassen“
Haustiere sind längst in die dekadente Wohlstandsgesellschaft integriert
Verena Rosenkranz

Was dem Autoliebhaber sein Sonntagsputz des fahrbaren Untersatzes ist, ist dem Tierliebhaber die Pflege seines Vierbeiners. In den seltensten Fällen buchen PS-Fans aber einen Termin beim Psychologen, Kosmetiker oder Mentaltrainer für ihr Fahrzeug. Bei Hunde- und Katzenhaltern, aber auch Vogel- und Kleintierbesitzern kann das durchaus schon mal vorkommen. 

Während sogenannte SB-Waschanlagen zwar eher aus dem Autobereich bekannt sind, etablieren sich diese immer mehr auch im Tiersektor. Hat sich der bellende Liebling beim Spaziergang im Schlamm gewälzt, kann er in gewissen Tiersalons mittlerweile rund um die Uhr wieder sauber gewaschen werden. Wer die eigene Badewanne oder Dusche also lieber für sich alleine hat, der greift zu ein paar Euromünzen, führt seinen Bello über eine Rampe in eine hüfthohe „Waschanlage“ und stellt das Pflegeprogramm ein. Wie weich das Shampoo sein soll, welche Pfotenpflege gewünscht wird und mit welcher Temperatur der Fön blasen soll, kann dann auf einer Anzeige ausgewählt werden. Das kleine Programm für den wadenhohen Vierbeiner ist zwischen drei und sechs Euro zu haben. Je höher das Gestell, um so mehr Wasser wird benötigt und desto teurer wird der „Waschgang to go“. 

Wer sich allerdings mit dem Schnellprogramm nicht zufriedengeben möchte, der sucht sich einen passenden Stylisten für den tierischen Freund. Mit bis zu 120 Euro schlägt ein solcher Friseurbesuch zu Buche. Dafür werden alle Knötchen aus den Haaren entfernt, einshampooniert, frisiert, geschnitten und zur Entspannung Wuffi zwischendurch massiert. Auch hier gilt wie in der Damenwelt: je länger die Haare, um so teurer wird der Spaß. Für Menschen, die ihren Liebling zur Rundum-Kosmetik bringen, dürfte das aber kaum ausschlaggebend sein. Zu den meisten Sorglos-Paketen gehören zudem die Pediküre und die Reinigung aller Körperöffnungen – das treibt den Preis erneut in die Höhe. Wie haben gewöhnliche Vierbeiner ohne eine solche vierteljährlich empfohlene Pflege früher überhaupt das Haus verlassen können?

Mentoren vermitteln zwischen Tier und Mensch

Wenn Hund und Katze im Schönheitssalon allerdings Probleme machen, wird der regelmäßige Besuch schnell zum Nervenkitzel. Ein Tierpsychologe muß her. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Zahl der Energetiker, Flüsterer, Psychologen und Mentaltrainer für Vierbeiner dank einer regen Nachfrage massiv gestiegen. Mittlerweile findet sich in jeder größeren deutschen Stadt mindestens ein Experte auf dem Gebiet der animalischen Gemüter. In Berlin versucht etwa eine Dame hauptberuflich nicht nur mit Mücken zu sprechen, damit sie nicht stechen, sondern bietet auch ihre Hilfe in puncto psychologischer Unterstützung oder Traumataaufarbeitung bei Tieren an. Die 40jährige ehemalige Radiomoderatorin nimmt als „Tierkommunikatorin“ rund 90 Euro für sechs Fragen an das geliebte Haustier. Persönlich muß man dafür nicht vorstellig werden, es klappe auch über Telefon. Die Vierbeiner würden dann die kuriosesten Geschichten erzählen, auch manchmal von Beziehungsproblemen. 

Sollte die Therapie nicht fruchten, bieten etliche Tierstudios auch alternative Heilmethoden an. So wird auf diversen Webseiten wie beispielsweise hundepsychologin.de ein grandioser Erfolg in der Verhaltenstherapie von auffälligen Hunden und Katzen – zuweilen auch Nagern – durch Bachblüten und Schüßlersalzen versprochen. Nach einer wohltuenden Reiki-Massage, bei der die energetisierten Hände auf das Fell gelegt werden, und anschließender Weiterbehandlung mit Globuli, Ölen und Co. soll es zu einer positiven Veränderung des Beißverhaltens oder zum Ablegen negativer Gewohnheiten kommen.

Und wenn einem geplanten Infrastrukturprojekt oder Gebäudebau das von Tierschützern verteidigte Wohl einer Spezies im Wege steht, sind Tiermediatoren zur Stelle. Zu ihren Kunden gehören unter anderem Alcatel, die Deutsche Bahn, der Energieversorger RWE und die Baumarktkette Obi. Quasi als selbsternannte Tieranwälte versuchen sie mit beiden Parteien Lösungen zu finden.