© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/18 / 29. Juni 2018

Die Übermacht des Faktischen
Islamkritische Betrachtungen eines Kulturmarxisten zur multikulturellen Misere Frankreichs und Europas
Thomas Kuzias

Kann ein schlechtes Buch interessant sein? Ja, gewiß. Es kann sogar derart lehrreich sein, daß man sagen muß: Dieses schlechte Buch ist gut. Es besticht weder durch guten Stil, noch entwickelt es eine tiefsinnige neue Theorie, zudem ist es angefüllt mit zahlreichen Widersprüchen. Und doch ist es kraftvoll-lebendig, wirklichkeitsbezogen und an den Problemen der Zeit orientiert. Stefan Zenklusen, ein in Basel geborener Soziologe, beschäftigt sich in seiner Essaysammlung mit den Ursachen und Folgen der islamischen Einwanderung nach Frankreich. Der typisch hemdsärmelige Furor eines bekennenden Linken und sein sozialwissenschaftlich geschulter Blick führen zu brennenden Einsichten.

Drei Ebenen sind bei der Lektüre auseinanderzuhalten. Zentral ist die wache und ungeschminkte Analyse der Wirklichkeit, die in dem ein Drittel des Buches ausfüllenden Aufsatz „Ist der Antirassismus faschistoid geworden?“ (2012) ausgebreitet wird. Anschließend werden in den übrigen Beiträgen (2014–2016) die gesellschaftspolitischen Folgen der neuen, multikulturellen Wirklichkeit an konkreten Beispielen diskutiert, Gegenpraxis eingeschlossen. 

Eine dritte Ebene bildet das Ideologiegeflecht, welches die intellektuellen Voraussetzungen des Autors umfaßt und einen tiefen Blick in das Seelenleben der kulturmarxistischen Intelligenzija gestattet. Hierher gehört auch das wenig instruktive Vorwort von Hartmut Krauss, der die „vorwegnehmende Islamkritik des Aufklärungsmaterialismus“ als Monstranz vor sich herträgt, um die nachzuholende Ideologiekritik der Marxschen „Blutrot-Utopie“ (Paul Busching, 1910) weiterhin vertagen zu können.

Über Frankreich sind wir Deutschen durch unsere Medien durchaus schlecht informiert, aber über die wahren Probleme unseres Nachbarlandes mit der islamischen Einwanderung und ihren Folgen sind wir geradezu desinformiert. Doch wird die westeuropäische Fehlerpolitik, in Deutschland derzeit zur eisernen Orientierung erhoben, in Frankreich am heftigsten debattiert. Zenklusen entfaltet, was das gehässige Bonmot Daniel Cohn-Bendits, die multikulturelle Gesellschaft sei „hart, schnell, grausam und wenig solidarisch“, in Wirklichkeit bedeutet. Wer von den kommenden Dingen wissen will, dem werden hier die Augen geöffnet. Die liberale Gesellschaft wird durch einen Kulturkrieg ihrer unvereinbaren Bestandteile an den Abgrund geführt. 

Der Autor stellt die zentrale Frage: War es nicht ein „hochgefährliches, explosives ethno-religiöses Experiment“, Millionen Moslems aufzunehmen? Und er schließt sich der These an, daß das genuin Politische heute bei der extremen Rechten (Le Pen und Front National) beheimatet ist – die Gegenseite fuße dagegen ausschließlich auf Moral und Volkspädagogik. „Diplomierte, Junge, Minderheiten und Frauen“, hieß es in einem Strategiepapier der Sozialisten aus dem Jahre 2012, seien das Frankreich von morgen – die breiten „populären Schichten“ aber seien kulturell und ökonomisch rückschrittlich. Der Leser erfährt hier, warum die Sozialistische Partei in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist. Die große Ähnlichkeit der französischen Verhältnisse zu Deutschland, wo sich mehrere Anwärter um das im Zitat umrissene Wunschvolk bewerben, und zum Aufstieg der AfD wird hier besonders deutlich.

Leider unterlaufen Zenklusen vor allem im zweiten Teil seiner Ausführungen immer wieder verbale Entgleisungen, zum Beispiel wenn er den Koran als „Dreigroschen-Kriegsroman“ schmäht. Hier tritt er auch mit der Vision eines identitären Putsches nach romanischen Mustern hervor: Guillotine entrosten, Marsch auf Paris, „Wohnungen der globalistisch-islamophilen Pest  ausräuchern“, die Verantwortlichen vor ein Tribunal der Menschlichkeit stellen. Einem rechten oder konservativen Autor ließe man dies nicht durchgehen, aber stolze Universalisten sind moralgeschützt, worüber die dritte Ebene des Buches Auskunft gibt.

Die „unheimliche Macht“ der politischen Korrektheit

Alle Ideologieprobleme der Linken haben mit den Leerstellen und den halbtheologischen Eigenheiten des Marxschen Denkens und dessen Scheitern vor der geschichtlichen Wirklichkeit zu tun. Der Kulturmarxismus ist die scheinbare Auflösung dieser Schwierigkeiten durch die Übernahme bürgerlicher Denkelemente (Nietzsche, Freud, Heidegger). Zenklusen begreift sich als marxtreuer „Altlinker“ und ist der „alten Frankfurter Schule“, der Modernisierung des Marxismus durch Psychoanalyse verpflichtet. Mit dem Faschismusbegriff geht er folglich äußerst großzügig um. 

Fanatisch bekämpft er die französische Variante des Kulturmarxismus, den sogenannten postmodernen Dekonstruktivismus: Derrida kommt für ihn von Heidegger her, der somit als letztlich verantwortlich für das multikulturelle Chaos erscheint. Adorno jedoch sei „‘deutsch’ bis auf die Knochen“ und fungiere als formelspendender Retter: Aufklärung über Aufklärung bewahrt immer noch Aufklärung. Dennoch räumt Zenklusen ein, daß der politischen Korrektheit durch die Instrumentalisierung unseres schlechten Gewissens eine unheimliche Macht zuwächst. Nur hat nicht gerade Adorno an der professionellen Züchtung dieser Art von Gewissen beachtlichen Anteil? Zu erinnern ist daher an den messianischen Anteil seines Denkens: „Der Zweck der Revolution“, meinte Adorno in einem Brief an Walter Benjamin (18. März 1936), „ist die Abschaffung der Angst.“ Mit solchen Marksteinen des Irrationalismus der ewigen Linken wird im Troll-Bereich des Spiegel selbst heute noch kokettiert.

Zusammenfassend muß man sagen: Erst wenn verzweifelte Linke wie Zenklusen aus ihren Analysen zur sich anbahnenden Islamisierung Europas konkrete Folgerungen ziehen – also wenigstens zur taktischen Stimmabgabe für Parteien wie die AfD aufrufen –, ist anzunehmen, daß sie aus ihren jahrzehntelangen intellektuellen Verfehlungen wirklich zu lernen begonnen haben.

Stefan Zenklusen: Islamismus und Kollaboration. Der Beitrag von französischen und europäischen Linken und Liberalen bei der Errichtung des Islamismus und Antisemitismus, Hintergrund-Verlag, Osnabrück 2017, broschiert, 155 Seiten, 15 Euro